Form, Funktion und Ornament – am Beispiel von Vasen lassen sich verschiedenste gestalterische Überlegungen und Haltungen diskutieren. Das Foto zeigt Vasen der Serie Bernadotte von Georg Jensen.

Es gibt Menschen, die mit Schnittblumen nichts anfangen können. Ein denkbarer Grund ist ihre ephemere Natur. Kaum in die Vase gestellt, heißt es fast wieder Abschied nehmen. Klar im Vorteil sind Kunstblumen. Schon die Antike kannte sie – aus verschiedensten Materialien bestehend, darunter Wachs, Seide und metallische Werkstoffe. Dieser anhaltende Zimmerschmuck ist oftmals im Hinblick auf den Umwelt- und Ressourcenschutz nachhaltiger. Denn was bei uns für ein äußerst kurzes Gastspiel in Vasen landet, flog zuvor mitunter um die halbe Erde und wurde vielfach unter großem Einsatz von künstlicher Bewässerung und Chemie angebaut.

Die Alternative – heimische Blumen, eventuell aus dem eigenen Garten – steht demgegenüber nicht ganzjährig zur Verfügung. Sogar an Vasen als vermeintlich neutralen, inhaltslosen Gegenständen lässt sich also (ohne jede moralisierende Absicht) aufzeigen, wie weit wir uns von natürlichen Kreisläufen entfernt haben. Wahr ist jedoch auch, dass es hier an sich um gestalterische Überlegungen gehen soll, die sich mithilfe von Vasen hervorragend diskutieren lassen.


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Falda-Vase von Rosenthal. Wo hört das Behältnis auf und wo beginnt die Schönheit der Natur? Ein meisterlicher Entwurf von Sebastian Herkner. Foto: © Rosenthal

Die gestalterische Lektion der Vasen

In Anlehnung an ein Bonmot Loriots ist ein Leben ohne Blumen mit Sicherheit möglich, aber sinnlos. Hat man die Sinnfrage für sich selbst beantwortet und überdies seine Lieblingsblume gefunden, braucht es zuletzt einen – raumgeometrisch und idealerweise ästhetisch – passenden Behälter. Gelegentlich gerät man in Verlegenheit, schnell einen Ersatz für nicht vorhandene Vasen zu finden. Dem Erfindergeist sind in solchen Situationen wenig Grenzen gesetzt. Bloß wasserdicht sollte ein Notbehelf im Zweifelsfall sein.


 
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Wir wollen uns indes mit dem befassen, was man als „echte Vasen“ bezeichnen könnte. Wie bei Essgeschirr kann bei deren Gestaltung zwischen zwei wesentlichen Ansätzen unterschieden werden. Vasen lassen sich erstens unauffällig entwerfen, sodass sie möglichst wenig von der Blütenpracht ablenken. Oder man verleiht ihnen über eine besondere Formgebung, Farbgebung, Bemalung oder ein Relief einen Ausdruck, der den Inhalt komplementiert. Was schiefgehen kann, wenn Blumen und Vasen visuell zu stark konkurrieren. Gleichzeitig kann das durchaus ein interessantes Stilmittel sein. Wer außerdem kann sagen, wo geschmackvolles Design aufhört und Übertreibung beginnt?

Vasen als glasklare Funktionsgegenstände

Bei gezielt schlicht geformten und auf Ornamente verzichtenden Vasen aus Glas handelt es sich – ähnlich dem Nullpunkt der Malerei, auf den wir an anderer Stelle zu sprechen kamen – quasi um die beste Annäherung an die Unmöglichkeit, Blumen ohne Gefäß ins Wasser und im Raum zur Schau zu stellen. Wie erfolgreich der Gedanke jeweils umgesetzt wurde, müsste sich überprüfen lassen, indem man sie leer präsentiert. Im Prinzip sollten sie wirken, als sei vergessen worden, sie wegzuräumen.

Ein Rest an Unschärfe bleibt freilich. Wer will entscheiden, ob im Bestreben einer maximal reduktionistischen Übersetzung der Funktion in Form etwa rund oder eckig die bessere Wahl ist? Produktionsseitig ist heutzutage so gut wie alles vorstellbar und wirtschaftlich darstellbar.

Riite von Helmi Remes. Inspiriert von der alten venezianischen Merletto-Glastechnik hatte die finnische Glaskünstlerin die limitierten Vasen mit zarter Spitzenstruktur vor einigen Jahren für Rosenthal entworfen. Foto: © Rosenthal

Skulptur oder Behälter?

Unter Umständen können Vasen aus Glas umgekehrt genauso gut als solitäre Dekorationselemente funktionieren. Formgebung, Schliff und Färbung sind lediglich drei Ansatzpunkte, um zu spannenden Ergebnissen zu kommen, Assoziationen zu wecken oder gar Geschichten zu erzählen. Angefangen beim (stilisierten oder echten) Reagenzglas für eine einzelne Blume bis hin zu regelrechten kleinen Skulpturen.

Das Ganze ist selbstverständlich nicht auf Glas beschränkt, wie beispielshalber die metallenen Mizuki-Vasen von Nendo für Georg Jensen gezeigt haben oder sich im Fall der Hydraulic Vase von Isa Andersson für Design House Stockholm beobachten lässt.

Hydraulic Vase von Isa Andersson. Foto: © Design House Stockholm

Kann Verzierung Sünde sein?

Für unser Anliegen erscheint es sinnvoll zu sein, einmal kurz darauf einzugehen, wie sehr – phasenweise – im vorigen Jahrhundert alle nicht unmittelbar aus dem Zweck ableitbaren ästhetischen Qualitäten als verpönt und teilweise kulturell minderwertig angesehen wurden. Man denke an die einflussreichen Thesen des Österreichers Adolf Loos, der Ornamentik in der Nähe des Verbrechens verortete. Wir sind ihnen bereits begegnet, als es um die Aussöhnung von Minimalismus und Ornament ging.

Nachdem zunächst am Bauhaus und später an durch es beeinflussten Schulen im Laufe von fünf oder sechs Jahrzehnten sozusagen alles eliminiert wurde, was für „reines Design“ entbehrlich ist, erfuhren ornamentale Verspieltheit und Sinnlichkeit ab den 1980er-Jahren (Stichwort Memphis Design) eine Art Rehabilitierung.

Detailaufnahme der Hydraulic Vase. Foto: © Design House Stockholm

Bezogen auf unser Thema wäre zu klären, ob die ganze Idee, Blumen zu inszenieren, mit einer puritanisch-spröden Auffassung von Gestaltung überhaupt konform gehen will. Im Grunde ist hier eine gewisse dekorative Opulenz eine Form des Anknüpfens an die jahrtausendealte Tradition des Reflektierens des Lebens und Alltags mittels gestalterischer Ausschmückung von Gebrauchsgütern.

Das Leben ist zu kurz für trauriges Design

Andererseits spielten für Bemalungen und andere Verzierungen transzendentale beziehungsweise eschatologische Vorstellungen lange Zeit eine wichtige Rolle. Will man noch einen Schritt weitergehen, kann man Vasen mit Blumen vor dem Hintergrund ihrer Verwendung für barocke Stilleben als (gemalte) Veranschaulichung des Vanitasgedankens begreifen. In diesem Sinne sind sie Teil des eitlen, vergeblichen Versuchs des dauerhaften Festhaltens des Vergänglichen.

Weil wir allerdings unsere kursorischen Betrachtungen indirekt mit diesem wenig erbaulichen Aspekt begonnen haben, scheint es nur fair, mit dem Verweis auf die das Leben zelebrierenden Glücksgefühle zu schließen, für die der Anblick perfekt gerahmter natürlicher Vollkommenheit sorgt. Die Aufgabe dahinter dürfte weiterhin Generation für Generation von Designschaffenden beschäftigen, ja faszinieren.

Bildhinweis:
Unser Titelbild zeigt Vasen der Serie Bernadotte von Georg Jensen.

Weitere Informationen:
GEORG JENSEN A/S

www.georgjensen.com

 
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