Die manuelle Glasfertigung besitzt inzwischen den Status des immateriellen Kulturerbes. Ihre Zukunftsperspektiven beleuchtete ein dreijähriges, von der Kulturstiftung des Bundes gefördertes Projekt namens „glass – hand formed matter“. Die Ergebnisse zeigt nun die gleichnamige Ausstellung.

Ging es unlängst in einem anderen Beitrag um die Entwicklung neuer Methoden der Herstellung funktionalisierter und präzisionsgeformter Gläser mit innovativen Eigenschaften im industriellen Maßstab, wollen wir uns heute mit dem Thema manuelle Glasfertigung beschäftigen. Seit über einem halben Jahrhundert wird das Handwerk des Glasmachens kontinuierlich durch Maschinen marginalisiert. Ein Verlust, den sich die meisten gar nicht bewusst machen. Vergleicht man jedoch die kunstvollen mundgeblasenen Hervorbringungen des jahrtausendealten Berufs mit Massenprodukten aus der Fabrik, ist kein Zweifel mehr möglich. Die manuelle Glasfertigung muss erhalten bleiben. Glücklicherweise besitzt sie hierzulande inzwischen den Status des immaterielles Kulturerbes. Außerdem versuchte zuletzt das dreijährige, von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekt „glass – hand formed matter“ zu erkunden, wie das Potenzial der traditionellen Techniken ausgeschöpft und erweitert werden kann, um dem Handwerk Zukunftsperspektiven zu eröffnen.

Elements of Colour – © Michelle Müller

Initiiert wurde das internationale Kooperationsprojekt, das sich ganzheitlich mit technischen, kulturellen, sozialen und ökologischen Aspekten befasst hat, 2020 von der weißensee kunsthochschule berlin. Beteiligt und miteinander vernetzt haben sich Hochschulen, Glashütten, Kulturinstitutionen und Menschen aus den Disziplinen Kunst und Design aus Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie aus Finnland und Schweden. In zahlreichen Workshops und Künstlerresidenzen an den beteiligten Glashütten und in der Auseinandersetzung mit analogen und digitalen Werkzeugen und aktuellen inhaltlichen Fragestellungen suchten die Mitwirkenden nach neuen ästhetischen und funktionalen Ansätzen für die Arbeit mit dem Material Glas.

„glass – hand formed matter“ – Zukunft für die manuelle Glasfertigung?

Was bei dem künstlerischen Erforschen im Rahmen des an den Bauhaus-Gründungsgedanken erinnernden Gemeinschaftsprojekts herausgekommen ist, zeigt vom 5. Mai bis 7. August 2022 die Ausstellung „glass – hand formed matter“ im Berliner Bröhan-Museum (Landesmuseum für Jugendstil, Art déco und Funktionalismus). Anschließend wandert die Ausstellung ins schwedische Boda, wo sie vom 28. August bis 20. November 2022 in „The Glass Factory“ zu sehen sein wird. 2023 macht die Ausstellung dann vom 10. Februar bis 23. April im finnischen Glasmuseum in Riihimäki Station.

converging disciplines – © Moritz Müller, Henrieke Neumeyer

Eine zusätzliche Ausstellung mit dem Titel „wasser und wein“ präsentiert vom 13. Mai bis 26. Juni 2022 im KunstForum Gotha experimentelle Glasentwürfe, die sich mit der Trinkkultur auseinandersetzen und den Wert von Wasser thematisieren, um das man sich in vielen Teilen der Erde ähnlich große Sorgen machen muss wie um die manuelle Glasfertigung. Neben Glasobjekten sind hier wie in der Ausstellung „glass – hand formed matter“ Filme, Materialien aus den Entwurfs- und Herstellungsprozessen sowie historische Artefakte zu entdecken. Vereint sollen sie das implizite Wissen des Glashandwerks erfahrbar machen, das im Venedig des ausgehenden Mittelalters bekanntlich so bedeutsam war, dass man als Glasbläser gegenüber Fremden tunlichst darüber schwieg, sofern einem das eigene Leben lieb war.

Weitere Informationen:
weißensee kunsthochschule berlin
www.kh-berlin.de

Bildhinweis:
Das Titelbild zeigt den Glasmacher Peter Kuchinke in der Glasmanufaktur Harzkristall Derenburg.

 
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