Die innerhalb der Konzeptkunst vor etwas über einem halben Jahrhundert erstmals ausformulierte Gleichsetzung von Idee und Ausführung von Kunstwerken liefert uns eine Art Paradigma für die künftige Rolle des Designers (und Künstlers) im Zeitalter künstlicher Intelligenz, findet Michael Graef.
Weite Abschnitte der Kunst des vergangenen Jahrhunderts lassen sich als Teil einer Reise hin zum Nullpunkt der Malerei beschreiben. Wichtige Wegmarken sind hierfür beispielsweise die bezogen auf die Bedingungen des Kunstbetriebs entlarvenden Positionen von Yves Klein. Hier ist insbesondere seine Ausstellung „Le Vide“ des Jahres 1958 zu nennen. Sie bestand genau daraus. Aus der titelgebenden Leere in Form einer Galerie mit völlig kahlen Wänden, die dennoch Schlangen von Besuchern anlockte. Klein verwandelte die Kunstpräsentation und Rezeption in eine regelrechte Pantomime. Für manche Provokation, für viele andere ein Geniestreich.
Sind Idee und Ausführung gleichwertig?
Für unsere Betrachtungen im Kontext des Designs noch bedeutsamer sind die selbst unter Kunstinteressierten nur von wenigen gekannten Kontributionen Lawrence Weiners. Dieser systematisierte die Verweigerung des Aktes des Malens respektive Herstellens (be)greifbarer Arbeiten zehn Jahre nach Kleins leeren Galerieräumen durch seine aus drei Punkten bestehende „Declaration of Intent“. Darin sagt Weiner, dass der Künstler das Werk erstens herstellen kann, dass dieses zweitens angefertigt werden kann, aber drittens nicht ausgeführt werden muss.
Die paradigmatische Erklärung von Lawrence Weiner schließt mit der Feststellung, dass jede der Möglichkeiten gleichwertig ist und der Absicht des Künstlers entspricht. Und dass die Entscheidung über die Ausführung „beim Empfänger zum Zeitpunkt des Empfangs“ liegt. Was alles in allem vereinfacht gesagt darauf hinausläuft, dass bereits der Gedanke beziehungsweise die Idee für eine Arbeit – ohne dass diese notwendigerweise physisch in die Existenz tritt – ein künstlerisches Werk darstellt.
Drohender Kontrollverlust?
Während sich Gerichte mit dieser Sichtweise verständlicherweise schwer taten, ist hierin, wenn man so will, eine Antizipation der Bedingungen der uns heute beschäftigenden KI-Revolution zu sehen. Indem nämlich Designer (wie Künstler, so sie denn möchten) mehr und mehr zu reinen Dirigenten von Maschinen werden, wird die Vorstellung – die schöpferische Vision – allmählich zur eigentlichen Aufgabe und zum menschlichen Alleinstellungsmerkmal.
Allerdings kommt hinzu, dass künstliche Intelligenz zunehmend sogar schon die Inspiration liefert. Der Prozess des Schaffens von Neuem wird so vielleicht langfristig vollständig aus der Hand des Menschen genommen, so man es denn will – und zulässt. Das soll übrigens nicht als Wertung missverstanden werden, sondern ist rein objektiv gemeint. Wer darin etwa die Gefahr eines Kontrollverlustes erkennt, sollte sich daran erinnern, dass die größte Bedrohung der Menschheit doch wohl von Homo sapiens selbst ausgeht. Und zwar nicht zuletzt von Ideen mit Absolutheitsanspruch. Ihnen laufen Menschen immer wieder so lange blind hinterher, bis teuflische Werke folgen …
Herzlichst
Michael Graef
Chefredakteur und Mitbegründer von COLD PERFECTION