Exklusiv sprachen wir mit Armin Pedevilla von pedevilla architekten aus Südtirol über eine neue – alte – Art verantwortungsvollen Bauens mit hohem Bewusstsein für Ort und natürliche Bedingungen. Foto: © Gustav Willeit

Wer nichts weiß, muss alles glauben? Beim Thema Klimawandel geht es inzwischen nicht mehr um Glaubensfragen. Das Beobachtbare deckt sich mit jahrzehntealten Vorhersagen. Während sich manche mit der Frage aufhalten, wie viel von der Erderwärmung auf das Konto von Homo sapiens geht, suchen andere nach Lösungen. Dringend müssen Landwirtschaft und Wälder an die zunehmenden Wetterextreme angepasst werden. Ebenso gilt es, unsere Städte zukunftsfest zu machen. Die dichte Bebauung und die Dominanz versiegelter Flächen verschärfen die Auswirkungen zunehmender Dürre- und Hitzeperioden.

Warum lernen wir nicht von Menschen, die dichter dran sind an der Natur und auf ein über Jahrhunderte tradiertes Wissen des respektvollen Umgehens mit und des sich Einfügens in die natürlichen Kreisläufe zurückgreifen können, fragten wir uns. Geeignete Gesprächspartner fanden wir bei pedevilla architekten aus Bruneck in Südtirol. Sie zeichnet ein hohes Bewusstsein für traditionelle Bau- und Handwerkskunst, nachhaltige Werkstoffe und die spezifischen Besonderheiten und Anforderungen des jeweiligen Ortes aus. Das „Verlangen nach alpinem Bauen“, wie sie selbst es ausdrücken, ließ Armin Pedevilla und seinen zwei Jahre älteren Bruder Alexander Pedevilla nach ihrem Studium und einer ersten beruflichen Station in Österreich nach Südtirol zurückkehren, um ein gemeinsames Architekturbüro zu gründen. Wir sprachen mit Armin Pedevilla.


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CP: Herr Pedevilla, anstatt ein Teil der Lösung zu sein, ist der Bausektor bislang Teil des Problems. Das schließt viele Faktoren ein, über die im Einzelnen zu reden sein wird. Beginnen wir mit der Feststellung, dass man Gebäude heutzutage noch immer weitgehend so konzipiert, als seien diese allein auf der Welt. Sie selbst bezeichnen demgegenüber die Konsistenz als einen wichtigen Faktor bei planerischen Entscheidungen und sagen, dass die Einbindung eines Gebäudes in vorhandene örtliche Strukturen und das Eingehen auf Temperatur- und Klimaeinflüsse eine wichtige Rolle spielen muss. Könnten Sie das einmal konkretisieren?


 
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Armin Pedevilla: Vielfach wird so gebaut, als würde es das Umfeld überhaupt nicht geben. Das macht Gebäude austauschbar. Schauen wir in alpine Gegenden auf der ganzen Welt – gerade bei historischen Bauten – erkennt man dort gewisse Ähnlichkeiten in der Materialwahl und Bauweise, ohne dass die eine Region von der anderen wusste. Dasselbe kann man in sehr warmen Gegenden beobachten. Eigentlich überall, wo sich die Voraussetzungen, die Anforderungen, ähneln. Offensichtlich hat man sich beim Bauen von der Natur, dem Klima und von allem Vorhandenen beeinflussen lassen und es verstanden, aus den Erkenntnissen eine nutzbare und schützende Behausung zu errichten.

„Wir müssen wieder lernen, mit den Gegebenheiten des Ortes zu bauen und dabei sinnvoll mit den Möglichkeiten umzugehen, die aus technischen Entwicklungen heraus entstanden sind.“ – Armin Pedevilla

Chalet La Pedevilla, Pliscia/Südtirol (2012 – 2013). Die zwei versetzten Baukörper mit ihrer behutsamen Einfügung in den Hang entsprechen dem örtlichen Paarhoftypus. Regionale Ornamente und charakteristische Merkmale wie Satteldach, Loggia und Holzfassade wurden aufgenommen und durch eine klare Interpretation neu umgesetzt.

 

Bestimmende Faktoren, die sich auch im äußeren Erscheinungsbild zeigen, sind Fenstergrößen beziehungsweise Öffnungen, Dachneigungen, Ausrichtungen der Gebäude, auch zueinander, Materialien, klimatische Verhältnisse wie Niederschläge und Temperaturschwankungen, Topografie und Höhenlage, genauso wie handwerkliche und technische Möglichkeiten. Kulturen mitsamt ihren Traditionen haben das Wissen über das Bauen weitergetragen und auch verstanden, wie man sich neue technische Errungenschaften aus dem alltäglichen Leben beim Bauen zunutze machen kann. Und auch heute gilt doch: Wenn Technologien intelligent genutzt werden, können sie viele Vorteile haben. Wenn nicht, dann bringen sie auch viele Nachteile mit sich.

Heute haben wir die Möglichkeit, alles zu bauen, alles zu bekommen. Es wird daher oft vergessen, für welchen Zweck und für welchen Ort man gerade eigentlich baut. Die einst bestimmenden Parameter werden ignoriert. Dadurch kommt es zur Entfremdung. Mensch und Haus, das ist dann keine Symbiose mehr. Vielmehr machen wir Menschen uns vom eigenen Haus abhängig. Das darf nicht sein.

CP: Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt am konventionellen Bauen sind die hohen klimaschädlichen Emissionen, die unter anderem aus der Zementherstellung und den langen Transportwegen resultieren. Nicht zu vergessen die Verknappung wichtiger Grundstoffe wie Sand. Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz bezüglich der Auswahl von Werkstoffen? Sie sprechen ja etwa davon, dass Materialien leben und das Leben zulassen müssen. Außerdem legen Sie besonderen Wert auf Recyclingfähigkeit.

Armin Pedevilla: Wir versuchen, Materialien immer so einzusetzen, dass sie für ihren Zweck den größten Nutzen haben. Dabei fällt die Wahl vorwiegend auf regional oder sogar lokal verfügbare Materialien. So hat man einerseits kurze Wege, andererseits sind diese Materialien auch vertraut – wir kennen sie und finden sie in der Umgebung wieder, häufig in der Natur. Wenn wir lokale Gesteinszuschläge in mineralische Putze einarbeiten, so schimmert ihre Oberfläche ähnlich dem umliegenden Gebirge. Die Hölzer, die wir verwenden, sind allesamt heimisch und uns vertraut. Wenn wir mit Holz arbeiten, machen wir uns auch seine große Wandlungsfähigkeit zunutze. Es kann ja nicht nur als Baumaterial verwendet werden, sondern auch – zum Beispiel – als Gestaltungsmaterial. Seine Besonderheit, dass es sich in kleine Elemente schneiden und bearbeiten lässt, ermöglicht es uns beispielsweise, eine kostbare Decke wie die in der Kochakademie Bad Schörgau zu schaffen. Oder ein Haus ganz aus Holz zu bauen, wie die ciAsa Aqua Bad Cortina, ohne Dämmung, Klebstoffe, oder Harze.

„Es gibt nichts Schlimmeres, als ein schönes Naturmaterial mit einer künstlichen Beschichtung abzutöten.“ – Armin Pedevilla

Aufwendig von Hand bearbeitetes Eingangsportal aus Ulmenvollholz am Haus am Mühlbach, Mühlen in Taufers, Südtirol (2012 – 2014).

 

Wir verwenden generell Materialien, denen eine bestimmte Natürlichkeit innewohnt, die lebendig sind und sich mit ihrer Nutzung im Gebrauch positiv verändern, oder auch mit der Tages- und Jahreszeit. Es gibt nichts Schlimmeres, als ein schönes Naturmaterial mit einer künstlichen Beschichtung abzutöten. Man würde verhindern, dass durch die Einflüsse und Berührungen eine Patina entsteht, ein Leben, ein Austausch zwischen Mensch und Oberfläche – und sich stattdessen für eine unkontrollierbare Abnutzung entscheiden, die schnell nach Erneuerung ruft.

Werden Gebäude außerdem so gestaltet, dass sie den Wunsch wecken, sie zu erhalten, weil sie geschätzt werden und emotional berühren, und wenn sie beispielsweise Beton mit all seinen Fähigkeiten und Potenzialen richtig einsetzen, werden sie mehr zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen als das bloße Einhalten mathematisch berechneter Kennwerte oder die Verwendung scheinbar ökologisch produzierter Materialien in aufwendigen mehrschaligen Konstrukten.

Der Grund, warum historisch bedeutsame Gebäude und Räume den Menschen so am Herzen liegen ist, dass sie emotional und inspirierend sind. Sie bringen uns zum Staunen und werden daher auch mit Begeisterung erhalten. Wenn es uns gelingt, solche emotionalen Gebäude auch heute zu schaffen, dann bedeutet das eine langfristige und gelebte Nachhaltigkeit, die sich schlussendlich auch in der Klimabilanz zeigt.

Feuerwehrhalle der Gemeinde Innichen, Vierschach/Südtirol (2011 – 2016). Eine einfache Gebäudeform und die Verwendung von nur wenigen Materialien ermöglichten eine wirtschaftliche und nachhaltige Bauweise.

Es wäre generell wichtig, zu einem einfacheren Bauen zurückzukehren. Heute werden oft zu viele Schichten, zu viele Folien, Klebstoffe und schädliche Chemikalien verwendet. Das gilt im Grunde und traurigerweise für alle Bauweisen. Deshalb suchen wir verstärkt nach Lösungen im monolithischen Bauen, wie zum Beispiel die Nutzung von Dämmbeton, Massivholz, Ziegel – und das alles ohne zusätzliche Dämmung. So gibt es für uns kein Richtig oder Falsch bei der Materialwahl, solange sich die Konstruktion im Hinblick auf den Ort nachvollziehen lässt und ohne zahlreiche Schichten mit Folien auskommt. Materialien so einzusetzen, wie sie sind und eben nicht zu schichten oder beschichten, macht das Bauen am Ende nicht nur einfacher, sondern ist auch gut für die Recyclingfähigkeit.

CP: Der Klimawandel zeigt sich in den am dichtesten besiedelten Regionen teilweise noch gar nicht so deutlich wie zum Beispiel in den Alpen – Stichwort schwindende Gletscher und Erdrutsche. Sich an extreme klimatische Bedingungen anzupassen und der Natur jahrein, jahraus das zum Leben Notwendige abzutrotzen, hat in den Bergen lange Tradition und prägte das alpine Bauen. Was macht diese Herangehensweise für Sie so attraktiv und vielleicht vorbildhaft für Gegenden, die sich erst noch an die Erderwärmung anpassen müssen?

Armin Pedevilla: Früher, als die Welt noch nicht so stark durch die Globalisierung bestimmt wurde, hat sich der Mensch auf seine Grundinstinkte verlassen. Gebäude wurden so gebaut, wie es die Gegend, das Klima und das vorhandene Material richtig erscheinen ließen. Daraus entwickelte sich das Handwerk. Zu dessen Aufgaben gehörte auch, sich Methoden auszudenken, durch die man mit wenig Aufwand viel erreichen konnte.

Fenster wurden klein gehalten, weil sie es waren, durch die man im Winter so viel Wärme verlor. Steinmauern wurden verwendet, wo erdanliegende Räume gebaut wurden, dort, wo es feucht war. Der Ofen stand im Zentrum, um die Wärme möglichst im Raum zu halten. Bäume wurden dann gefällt, wenn ihr Wasserhaushalt am geringsten war, um besonders beständiges Holz zu erhalten. Die Menschen ließen sich von der Natur führen und daraus ihre Behausungen entstehen.

„Wenn Beständigkeit und Wertschätzung ein Gebäude bestimmen, dann ist es allemal wirtschaftlicher als ein solches, das nach kurzer Zeit wieder umgebaut werden muss.“ – Armin Pedevilla

Hotel Bühelwirt in St. Jakob im Ahrntal – Erweiterungsbau (2015 – 2017).

Heute gibt es jedes Material überall, wenn man das denn unbedingt möchte. Das treibt einen Keil zwischen uns als Menschen und unsere Baukultur. Es droht der Verlust von Wissen, von Verständnis, von Tradition und Kultur. Weil fast alles durch Technologie kompensierbar ist, muss heute kaum mehr auf den Ort eingegangen werden. Glashäuser in den heißesten Regionen der Erde – das hätten unsere Vorfahren niemals gemacht, selbst, wenn sie es gekonnt hätten.

Schauen wir in manche Dörfer, die in den sehr warmen Regionen stehen, so reagieren die Gebäude dort auch auf die vorherrschenden Bedingungen. Denken wir an Innenhöfe, enge Gassen für die gegenseitige Beschattung und so weiter. Wir sehen dicke Lehm- oder Steinmauern mit großer thermischer Masse, die dabei hilft, die Räume in kalten Nächten mit der übrigen Sonnenenergie des Tages zu wärmen und an heißen Tagen mit der gespeicherten Nachttemperatur zu kühlen. Die Phasenverschiebung ist doch großartig. Heute ermöglicht uns beispielsweise Dämmbeton diese Art der Regulierung des Raumklimas, mit dem Unterschied, dass wir nicht einmal viel Energie verlieren.

Durch die technologische Entwicklung haben wir natürlich durchaus Vorteile, die wir gut nutzen können. Einer davon ist die Möglichkeit, Fenster heute als etwas ganz anderes zu verstehen als früher. Wir können heute größere Öffnungen setzen, die das Außen und das Innen viel besser miteinander kommunizieren lassen, viel mehr Licht ins Haus bringen und darüber hinaus noch für einen solaren Wärmeeintrag sorgen – vorausgesetzt, im Inneren ist ausreichend Speichermasse für diese Wärme vorhanden und das Verhältnis zwischen Wand und Öffnung stimmt.

Wir müssen wieder lernen, mit den Gegebenheiten des Ortes zu bauen und dabei sinnvoll mit den Möglichkeiten umzugehen, die aus technischen Entwicklungen heraus entstanden sind. Heute stellt man sich allzu oft gegen den Ort, indem man ihn regelrecht bezwingen will.

CP: Bei der Auseinandersetzung mit Ihren Arbeiten fällt neben der rein funktionell-technischen Könnerschaft die Ästhetik sofort ins Auge. Aus einem Vorgespräch wissen wir, dass es quasi Teil Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ist, Häuser zu bauen, die Menschen etwas bedeuten, Emotionen wecken und würdevoll altern. Ein klarer Kontrast zu einer „08/15“-Architektur, die Utilitarismus mit Profitstreben verbindet und allenthalben zu denselben langweiligen und austauschbaren Resultaten führt. Ist Ihre Weise zu bauen, die ja nicht zuletzt stark auf traditionelles Handwerk setzt, wirtschaftlich gesehen aber überhaupt für den Massenmarkt geeignet?

Armin Pedevilla: In erster Linie geht es darum, Räume zu schaffen, die eine emotionale Wirkung haben. Räume, die sich selbst genügen. Wir haben kein Interesse daran, die Region mit effekthascherischer, überladener Architektur zu füllen, die vielleicht sogar mit der umgebenden Landschaft konkurriert – und die im Grunde genommen überall stehen könnte. Auch immer mehr Tourismusbetriebe kommen zu dieser Einsicht und steigen aus dem Wettbewerb „größer, luxuriöser, extravaganter“ aus. Sie entscheiden sich für eine andere Art von Luxus – für eine sehr persönliche Gastfreundschaft und Bodenständigkeit, für ein „Weniger ist mehr“ – was in Südtirol eigentlich immer regionale Tugend war. Qualität ist der entscheidende Faktor. Die Gäste suchen zunehmend nach solchen Orten, die ihren Standort und nicht vordergründig sich selbst zelebrieren. Das ist auch unsere Definition von Luxus. So wenig wie möglich, aber so gut wie möglich, in Perfektion.

„Die Einsparungen, die das Hinterfragen von Wünschen, Gewohnheiten oder scheinbaren Notwendigkeiten bringt, kann man wunderbar in die Qualität der Materialien und der Oberflächen investieren.“ – Armin Pedevilla

Decantei, Brixen/Südtirol (2018 – 2019). Die baulichen Anfänge des Gebäudes reichen zurück bis ins 13. Jahrhundert. Der Kreis als vollkommenes geometrisches Element taucht immer wieder ordnend auf.

Wenn Sie darauf anspielen, dass traditionelles Handwerk zu teuer für die breite Masse sei – was gerade im Vergleich mit komplizierteren Industrieprodukten nicht der Fall sein muss –, so sehen wir uns Architekten genau dort gefragt. Wir haben es doch in der Hand, wo die Prioritäten liegen. Für wen lohnt sich beispielsweise auf 1.600 Meter Meereshöhe ein offener Balkon, oder weshalb sollte man an einem solch rauen Ort extra viel Hüllfläche um Schutz- und Wohnräume herum produzieren? Die Einsparungen, die das Hinterfragen von Wünschen, Gewohnheiten oder scheinbaren Notwendigkeiten bringt, kann man wunderbar in die Qualität der Materialien und der Oberflächen investieren. Eine Qualität, an der man sich ganzjährig und über Generationen erfreuen kann.

So denke ich, dass es die Langlebigkeit und Beständigkeit ist, mit der wir uns künftig noch viel mehr auseinandersetzen müssen. Umbau oder Abbruch sind kostenintensiv, das liegt unter anderem am teuren Recycling. Betrachten wir hierzu nur einmal die klassischen Gründerzeithäuser. Deren Bausubstanz funktioniert teils besser als vieles, das neu gebaut wird. Die Grundrisse ermöglichen aber vielmehr noch eine flexible Nutzung. Diese Polyvalenz ist doch vorbildlich. Solche Gebäude zeigen, was Nachhaltigkeit bedeutet. Es ist der Reiz des Einfachen und gleichzeitig des Schönen und Beständigen, der uns mehr anzieht als je zuvor. So sollte die Frage der Wirtschaftlichkeit auch hinsichtlich der Zeit gestellt werden.

Wenn Beständigkeit und Wertschätzung ein Gebäude bestimmen, dann ist es allemal wirtschaftlicher als ein solches, das nach kurzer Zeit wieder umgebaut werden muss. Ganz zu schweigen von den Recyclinggebühren. Im Umfeld steigender Baupreise wird man es doch künftig viel weniger einsehen, ganz beträchtliche Summen nur für das Rückbauen und nicht für das Bauen auszugeben. So glaube ich, dass Immobilien in Zukunft auch anhand ihrer Beständigkeit bewertet werden.

„Ornamente sind ein Ausdruck von Tradition. Sie vermitteln eine gewisse Wertigkeit, sie schmücken uns und auch Gebäude. Sie bringen Wertschätzung, Dankbarkeit, Stolz, Ehre und Verbundenheit zum Ausdruck.“ – Armin Pedevilla

Trehs Haus, Bad Schörgau, Sarntal/Südtirol (2016 – 2017). Der Innenraum wurde unter anderem mit naturbelassener Fichte neu gestaltet. Das verwendete Ornament stellt die Verbindung zur örtlichen Tradition her.

CP: Bleiben wir noch kurz bei dem, was Ihre Bauten schon auf den ersten Blick unverwechselbar macht. Zusätzlich zur reinen Sach- und Fachkenntnis ist offensichtlich ein beträchtliches Maß an Inspiration im Spiel. Woher kommen Ihre Ideen und wie stehen Sie beispielsweise zu Ornamenten, die im städtischen Bauen fast im Begriff stehen, auszusterben?

Armin Pedevilla: Die Inspiration liegt in dem, was uns täglich umgibt. Die Natur mit ihren Bergen, ihr sagenhaftes Schauspiel, ihre Präsenz. Sie schenkt uns Kraft und gleichzeitig Ruhe. Sie lässt uns Neues entdecken, uns ihre Kräfte spüren, Gerüche wahrnehmen, Haptik erfahren, lässt Licht und Schatten spielen.

Ornamente sind ein Ausdruck von Tradition. Sie vermitteln eine gewisse Wertigkeit, sie schmücken uns und auch Gebäude. Sie bringen Wertschätzung, Dankbarkeit, Stolz, Ehre und Verbundenheit zum Ausdruck. Warum? Sie entstehen aus gewissen Traditionen, das ist gelebte Kultur, die man Tälern oder sogar einzelnen Ortschaften zuordnen kann.

Ich wage zu behaupten, dass Städte eher Orte sind, die kulturell nicht so eindeutig zuordenbar sind. Das städtische Verhältnis zur Kultur scheint mir ein globaleres, die ständige Bewegung und Vielfalt führt zu unzähligen Werten, Ansichten oder Ausdrucksformen innerhalb derselben Stadt – und dazu gehört auch die Architektur. Am Land erleben wir Kulturen, Traditionen und Handwerkskünste, die noch sehr mit ihrer unmittelbaren Umgebung zu tun haben, sodass gewisse Grundwerte, die uns schon immer begleiten, präsent bleiben. Und doch neigen wir auch hier als Gesellschaft dazu, viel von unserer spezifischen und gewachsenen Kultur aufzugeben, indem wir die Unverwechselbarkeit des Ortes an das Austauschbare hergeben. Ich meine damit nicht, dass wir an gestrigen Vorstellungen festhalten sollen, die vielfach nicht mehr in unsere Zeit passen würden. Vielmehr geht es um wertvolles Wissen, dass wir blind versickern lassen, weil wir glauben, wir bräuchten es nicht mehr.

Servicegebäude Kreuzbergpass, Gemeinde Sexten, Südtirol (2019 – 2020
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. Der Hauptzweck des neuen Gebäudes ist die Vermittlung von Informationen zum Wanderwegenetz, zu den Almhütten, zur Natur und zum UNESCO-Welterbe Dolomiten. Zugleich bietet das Gebäude auch Schutz vor Regen und Schnee.

Das Bauen am Land ist doch einmal einem ganz einfachen Prinzip gefolgt, damals, als man noch nicht zu allem die Wahl hatte. Materialien wurden dem Ort entnommen, mit wenig Energieaufwand und kurzen Wegen. Danach wurden sie so eingesetzt, dass es auch Sinn machte. Wieso tun wir uns heute plötzlich so schwer damit? Steinmauern wurden für erdanliegende Räume verwendet, da sie nicht feuchtigkeitsempfindlich waren. Wo man es warm haben wollte, hat man Holz verwendet. Das Holz wurde meist in Sichtweite aus dem Wald geholt, die Steine möglichst auch aus der Nähe. Keller wurden auch nur soweit gebaut, dass der Raum zum Großteil außerhalb der Hangneigung war. Das Ausheben einer Baugrube hätte schließlich viel Arbeit bedeutet. Dieser schonende Umgang mit Ressourcen kann uns ein Vorbild sein. Der Stolz des Besitzers wurde nicht damit zum Ausdruck gebracht, dass er am verschwenderischsten mit den Ressourcen umging, wie es heute oft ist, sondern mit gewissen Ornamenten und Verzierungen – im Übrigen sehr persönlich und meistens wohldosiert.

CP: Bauen bedeutet gemäß Ihrer Selbstdarstellung für Sie, auch bewusst mit sozialen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Komponenten des alltäglichen Lebens umzugehen. Einen großen Teil Ihres Lebens verbringen Sie und Ihr Team in einem Ansitz aus dem 15. Jahrhundert, wo sich Ihre Büros befinden. Wie beeinflusst dieser Ort Ihre Arbeit?

Unsere Büroräumlichkeiten beeinflussen uns täglich und zeigen uns, wie kraftvoll und wohnlich Räume sein können, die aus einfachen, robusten Materialien gebaut sind, noch dazu mit guten Proportionen.

Der Ansitz ist eines der ältesten Gebäude der Stadt. Wohlproportionierte Fassaden mit gesetzten Öffnungen und flexible Räume sorgen für ein konstant gutes Arbeitsklima. Masse, Raumatmosphäre und Beständigkeit bewegen uns ja ohnehin in jeder unserer Arbeiten. Dem wohnt wie gesagt auch eine Nachhaltigkeit inne – nach all den Jahrhunderten empfinden wir inmitten einer ganz anderen Gesellschaft immer noch Bewunderung für diese Bauten unserer Vorfahren. Wir staunen immer wieder, wie gut das Gebäude auch ohne Technik funktioniert und wie anpassungsfähig es dadurch bleibt. In der Seele des Gebäudes ist tatsächlich so mancher Wert vertreten, nach dem wir uns heute zu sehnen beginnen.

CP: Sie beschäftigen sich intensiv mit überlieferten Methoden. Glauben Sie, dass Ihre Entwürfe ebenfalls Schule machen und dass der Geist, der sich darin ausdrückt, in Zukunft bewahrt und weitergegeben wird? Tatsächlich haben Sie mit dem Bildungszentrum Frastanz-Hofen in Vorarlberg bereits eine sehenswerte Schularchitektur verwirklicht, die Schülerinnen und Schüler mit einer natürlichen Materialauswahl wertschätzend umfängt und unterschwellig für Nachhaltigkeit sensibilisiert …

Armin Pedevilla: Wir Menschen sehnen uns vermehrt nach Beständigkeit, nach Ehrlichkeit, nach Berührung. Nach der Natur und dem, was sie uns schenkt. Wenn wir diese Geschenke annehmen und mit den natürlichen Materialien bauen, gehen wir meiner Meinung nach wieder ein Stück in die richtige Richtung. Dann bekommt man Gebäude, die mit uns wachsen und uns hoffentlich überleben – statt umgekehrt.

Bildungszentrum Frastanz-Hofen. Marktgemeinde Frastanz, Österreich (2017). Das Gebäude entspricht dem Standard „Nullenergiehaus“ und erreicht auf dem Kommunalgebäudeausweis den drittbesten Wert aller kommunalen Bauten in Vorarlberg.

Das Bildungszentrum in Frastanz hat uns wieder gezeigt, dass die natürlichen Materialien des Ortes einfach vertraut sind und den Kindern Bodenhaftung geben. Der Unterricht verläuft ruhiger, weil die Kinder ihre Räume riechen, fühlen und erleben können. Die Oberflächen vermitteln Kraft und Energie. Vielleicht ist es tief in uns ein wenig, als würde man über den Baumstamm oder den Felsen streicheln, der uns emotional berührt.

Ehrfurcht geht hier vielleicht mit Ehrlichkeit einher. Man bewundert ein Gebäude, das an seinen Oberflächen ganz offen die Zeichen der Zeit zeigt, die es über die Jahre schöner machen. Wir Menschen mit unseren Falten und Narben erzählen doch ebenso die Geschichte unserer Zeit, Beständigkeit, vielleicht ein Stück Weisheit.

Ich glaube, jeder erinnert sich an die Räume seiner Schulzeit – und zwar in einer Weise, die prägend für das eigene Denken und Handeln sein kann, prägend für den Charakter. Da vermitteln Räume, die Sicherheit ausstrahlen und die ein gewisses Gefühl des „Zuhause-Seins“ wecken, sicherlich die richtigen Emotionen. Aus Frastanz hört man, dass die Atmosphäre auch die kommunale Identifikation fördert, vielleicht ja auch eine langfristige soziale Akzeptanz. Eine weitergehende Sensibilisierung für die Themen, die wir mit unserer Architektur ansprechen, wäre jedenfalls schon ein großer Erfolg.

CP: Herr Pedevilla, haben Sie herzlichen Dank für diese spannenden Ausführungen, die gewiss viele Menschen inspirieren und zum Umdenken beitragen dürften.

Die Fragen stellte Michael Graef.

Weitere Informationen:
pedevilla architekten
https://pedevilla.info

Bildhinweis:
Für alle Fotos gilt: © Gustav Willeit / pedevilla architekten

 
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