Paucas pallabris – wenige(r) Worte –, das wird bei Shakespeare genau so oder in Abwandlungen wiederholt gefordert. Was gut zu der seinerzeit plötzlich einsetzenden Abnahme der Länge der Reden in Bühnenwerken passt. Vier Jahrhunderte später ist die Welt in dieser Hinsicht das reinste Paradies. Wenngleich Slogans, Memes und Kurzmitteilungen sich für die angemessene Interpretation der komplexen Wirklichkeit als eher ungeeignet erweisen.
Zumindest sparen die allgegenwärtigen kommunikativen Kurzformen getreu der schon von dem antiken römischen Dichter Horaz ausgegebenen Devise, sich möglichst kurz zu fassen, eine Menge Zeit.
Deplatzierte Ausführlichkeit
Ausgerechnet bei der Beschriftung von Zifferblättern zeigt sich regelmäßig eine sprachliche Ausführlichkeit, die trotz Zunahme der durchschnittlichen Größe von Armbanduhren deplatziert ist. Man muss offenbar daran erinnern, dass es bei einem Zifferblatt eigentlich um das Ablesen der Zeit, des Datums und so weiter geht.
Daran ändert nicht einmal die Tatsache etwas, dass Rolex in der Werbung vollmundig darauf hingewiesen hat, man würde von den Uhren mit dem Krönchen-Logo die Geschichte ablesen.
Gebrauchs- oder Statusobjekt?
Bleiben wir bei der Genfer Marke und betrachten zur Verdeutlichung die Submariner. Auf dem Zifferblatt der Ikone unter den Taucheruhren prangt ein halber Roman. Der für den Alltag noch am ehesten relevante Teil der (inklusive Leerzeichen) knapp 100 Zeichen langen Beschriftung ist die Angabe der Wasserdichtigkeit. Und selbst das ist zu hinterfragen. Wer taucht, ist hoffentlich Profi genug, um sich diese Information einprägen zu können.
Sofern man die Uhr überhaupt für ihren klassischen Verwendungszweck „missbraucht“, wie man angesichts des immer astronomischeren Preises fast formulieren muss. Auf den augenfälligen Wandel vom Gebrauchs- zum Statusobjekt wollen wir hier indes nicht näher eingehen.
Zifferblatt oder Werbeprospekt?
Was ist aber von den übrigen Informationen auf dem Zifferblatt zu halten? Oder anders: Wer ist ihr Adressat? Man sollte meinen, der Quasiverkaufsprospekt aus Marken- und Modellname, Hinweis auf die Gehäusekonstruktion („Oyster“), den automatischen Aufzug („Perpetual“) und die Ganggenauigkeit („Superlative Chronometer“ und „Officially Certified“) sei spätestens nach dem Kauf obsolet. Es sei denn, das Ganze richtet sich an die – staunende – Umwelt.
Wegen der geringen Schriftgröße müsste sich hierzu die Datumslupe über das gesamte Zifferblatt erstrecken. Doch Spaß beiseite. Wie wäre es, wenn Uhrenmarken ähnlich wie Automobilhersteller die gern genutzte Option böten, auf die Beschriftung zu verzichten? Ist Individualisierbarkeit heutzutage nicht ohnehin Trumpf?
Ablesbarkeit als höchste Priorität
Widmen wir uns einer anderen Uhrenlinie. Bei der „Streamliner“ lässt die ebenfalls aus der Schweiz stammende Uhrenmanufaktur H. Moser & Cie. – von der Feinminuterie abgesehen – jegliche Aufdrucke gleich standardmäßig weg. Äußerst subtil ist lediglich in der oberen Hälfte der typische Moser-Schriftzug in transparentem Lack ausgeführt.
Die informationelle Askese unterstreicht den eleganten Eindruck der im Grunde sportlichen Uhr. Dank der mit 120 Metern angegebenen Wasserdichtigkeit ist Baden und Schwimmen möglich, wodurch Moser ein vernachlässigtes Marktsegment bedient. Ein als Dress Watch geeignetes Modell mit der Nehmerqualität einer Sportuhr und einer Ablesbarkeit, die an jene von Fliegeruhren heranreicht, sieht man selten.
Blickfänger oder Zielscheibe?
In den Augen mancher mag es widersinnig erscheinen, sich eine Uhr anzuschaffen, die ein kleines Vermögen kostet, trotzdem es kaum jemand erkennt. Allerdings bedarf es für diese Spielart von „Stealth Wealth“ weniger Mut oder Spleenigkeit als vielmehr Vernunft. An vielen Orten – darunter beispielsweise London – setzt man sich inzwischen dem Vernehmen nach mit einschlägigen, von Weitem erkennbaren Luxusuhren einem hohen Risiko aus, gezielt überfallen zu werden.
Nicht jeder hat dabei so viel Glück wie Bernie Ecclestone. Der Ex-Formel-1-Chef kam 2010 glimpflich davon und wurde danach sogar für ein makabres Werbeplakat gebucht, das sein geschundenes Gesicht zeigte. Es diente dem Unterstreichen der Begehrlichkeit seiner geraubten Hublot. Fürs Protokoll: Das Zifferblatt zierten bloß Markenschriftzug und Formel-1-Logo. Der Chronograf wirkte dennoch überfrachtet und mindestens so laut wie der anschließende Aufschrei eines Opfervereins.
Bildhinweis:
Unser Titelbild zeigt die im Text beschriebene Streamliner Centre Seconds von H. Moser & Cie.
Weitere Informationen:
Moser Schaffhausen AG
www.h-moser.com