Ist die mechanische Uhr der Quarzuhr trotz ihrer geringeren Genauigkeit überlegen? Wir sind der Frage nachgegangen. Im Bild: Das Kaliber 899 von Jaeger-LeCoultre – Perfektion in Mechanik und Ästhetik.

Den meisten Uhren-Fans fällt die Beantwortung der Grundsatzfrage leicht, ob sie Quarzuhren oder mechanische Modelle bevorzugen. Was sind schließlich ein paar Jahrzehnte elektronischen Fortschritts gegen ein halbes Jahrtausend Tradition und Handwerkskunst? Aber ist damit wirklich schon alles gesagt und ist die mechanische Uhr der Quarzuhr trotz ihrer geringeren Genauigkeit gar überlegen? Wir sind der Frage nachgegangen.

Als Seiko im Dezember 1969 mit der „Astron“ die allererste Quarz-Armbanduhr auf den Markt brachte, waren der Fortschrittsglaube und das Vertrauen in grenzenloses Wachstum noch intakt und als Leitideen allgegenwärtig. Nicht zufällig weckte der Name der japanischen Innovation Assoziationen mit dem eben erst richtig angebrochenen Weltraumzeitalter. Knapp ein halbes Jahr zuvor hatte Neil Armstrong auf dem Erdtrabanten stellvertretend für die Menschheit mit einen kleinen Schritt zugleich einen gewaltigen Sprung gemacht. Ausgestattet waren er und seine Teamkollegen bei der US-Revanche für den Sputnikschock mit mechanischen Uhren aus der Schweiz. Umso bitterer war für die Eidgenossen nach ihrem höchst verlässlichen Beitrag zum gewonnenen Wettlauf zum Mond die anschließende Niederlage im Rennen um die Miniaturisierung der bereits 1927 in den New Yorker Bell Laboratories erfundenen piezoelektrisch getakteten Uhr.


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Von der Quarzkrise zur Mechanik-Renaissance

Rückblickend lässt sich die Begeisterung über die aus heutiger Sicht primitive Technik der frühesten Quarz-Uhrenmodelle ähnlich schwer nachvollziehen wie die Bereitschaft, für sie ein kleines Vermögen auszugeben. Der typische Preisverfall, der bei elektronischen Produkten aufgrund von Skalierungseffekten und der permanenten Weiterentwicklung stets rasch auf die Neuerung folgt, ließ nicht lange auf sich warten. Dieses traurige, als Quarzkrise bezeichnete Kapitel der Uhrengeschichte trieb einen großen Teil der Schweizer Hersteller in den Ruin. Mit der laufend billigeren Massenware aus Fernost konnten sie nicht konkurrieren. Schon gar nicht nach dem starken Wertverlust des US-Dollars, der die Exporte aus dem Alpenland zur absoluten Unzeit verteuerte.


 
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Ein Gegenmittel kam am 1. März 1983 mit der Swatch. Für viele ist die Einweg-Plastikuhr die Retterin der Schweizer Uhrenindustrie. Diese Sichtweise ist nicht falsch, obwohl sie einen genauso bedeutsamen Aspekt unterschlägt: die seinerzeit beginnende und bis heute andauernde Renaissance der mechanischen Uhr. Menschen in aller Welt entdeckten nämlich bald nach der Quarz-Revolution, dass eine Uhr mehr sein kann, als ein seelenloser, die Umwelt belastender Wegwerfartikel oder ein tayloristisches Pünktlichkeits-Messinstrument. Ein exklusives Mittel des Selbstausdrucks zum Beispiel, das Klasse und Sophistication signalisiert und – wenn es denn sein muss – Status. Eine Quarzuhr punktet hierbei nicht sonderlich gut.

Dasselbe in Grün: Für die 2020 vorgestellte Kollektion „1983“, benannt nach dem Jahr der Einführung der Einweg-Plastik-Quarzuhr aus der Schweiz, ersetzte man bei Swatch die konventionellen durch Biowerkstoffe, gewonnen aus den Samen der Rizinuspflanze. Demgegenüber entsprechen Form und Funktion dem Original aus der Zeit, als Kunststoffe noch nicht den schlechten Ruf hatten, für den beispielsweise die Verseuchung der Weltmeere inzwischen gesorgt hat. © Swatch

Mechanische Uhren sind genau genommen verblüffend genau

Abträglich für den Quarz-Hype war zudem das Verblassen des anfänglich zentralen Verkaufsarguments der klar höheren Genauigkeit. Tatsächlich ist es eine echte Errungenschaft, über Uhren mit Abweichungen von wenigen Sekunden pro Monat verfügen zu können, nachdem es Jahrhunderte dauerte, bis sich Uhrwerke so konstruieren ließen, dass sie nicht länger mehrere Minuten pro Tag vor- oder nachgingen. Das sich hierin ausdrückende grundlegende Streben nach höherer Präzision und der Wunsch nach einer größeren Gangreserve waren von Anfang an die Triebfedern (Wortwitz nicht beabsichtigt) für die Evolution der Uhr.

Zu der mehrjährigen Gangreserve von normalen batteriebetriebenen Quarzuhren sei gesagt, dass dieser auf den ersten Blick ungeheure Vorteil bloß dann zum Tragen kommt, wenn man seine Uhr häufiger für mindestens zwei oder drei Tage ablegt. Dass der Präzisionsvorteil von Quarzuhren im Alltag ebenso zu vernachlässigen ist, zeigt ein einfaches Rechenexempel: Eine mechanische Uhr, die täglich 20 Sekunden vor- oder nachgeht, was viel ist, besitzt eine Fehlerquote von 0,023 Prozent oder umgekehrt einen Präzisionsgrad von sagenhaften 99,977 Prozent. Bei einer täglichen Abweichung von fünf Sekunden – für Chronometer oder gut regulierte „normale“ Uhrenmodelle realistisch – hätte man eine Fehlerquote von 0,006 Prozent oder einen grandiosen Präzisionsgrad von 99,994 Prozent.

Bitte warten!

Höherwertige Modelle kommen zum Teil sogar auf zwei bis drei Sekunden pro Tag oder einen Präzisionsgrad von 99,996 Prozent oder besser. Doch wahre Fans von mechanischen Uhren sind heutzutage von der sekundengenauen Präzision ihrer federgetriebenen Zeitmesser weniger bedacht. Für sie überwiegt die Liebe zur traditionellen Mechanik. Dennoch wird das Vorhandensein eines offiziellen Chronometer-Zertifikats begrüßt. Es bescheinigt nicht nur geringe Gangabweichungen, sondern deutet darüber hinaus darauf hin, dass die jeweilige Marke sich bei ihren Uhrwerken Mühe gegeben respektive ein hochwertigeres und/oder gut reguliertes zugekauftes Werk verbaut hat. Jedoch handelt es sich bei der Ganggenauigkeit wie bei der Wasserdichtigkeit um keine bleibende Eigenschaft, sofern man seine Uhr nicht in gewissen Abständen warten lässt.

Wie häufig mechanische Uhren gewartet werden sollten, hängt primär davon ab, wie viel sie laufen beziehungsweise wie oft man sie trägt. Die von führenden Herstellern empfohlenen Wartungsintervalle wurden in der letzten Zeit (genau wie übrigens die Gangreserven) teils deutlich ausgedehnt, wozu die Verwendung von verschleißärmeren Werkstoffen wie Silizium beigetragen hat.

Perfektion in Mechanik und Ästhetik: Die Master Control Date von Jaeger-LeCoultre ist dank ihres flachen Uhrwerks nur 8,78 mm hoch. Das Kaliber 899 (gleichzeitig unser Titelbild) ist einer der Grundpfeiler der Schweizer Manufaktur. Zuletzt wurde es überarbeitet und unter anderem mit einer neuen Hemmung und einem neuen Anker aus Silizium ausgestattet, um die Reibung zu reduzieren. © Jaeger-LeCoultre

Nicht bewegen!

Allem Fortschritt bei mechanischen Uhrwerken zum Trotz bleiben analoge Quarzuhren im Hinblick auf Verschleiß konstruktionsbedingt überlegen. Sie enthalten einfach weitaus weniger bewegte Teile, die sich abnutzen könnten (digitale Uhren, die ganz ohne Räder auskommen, erst recht). Statt einer Wartung reicht alle paar Jahre eine neue Batterie und im Falle eines wasserdichten Modells eine Überprüfung dieser wie gesagt vergänglichen Eigenschaft. Bei Uhren mit Solarzelle, deren Energiespeicher viel seltener getauscht werden müssen, sollte man daran ebenfalls regelmäßig denken.

Auf eines sei im Zusammenhang mit Wartung und Verschleiß außerdem hingewiesen: Der Einsatz von Uhrenbewegern für Automatikmodelle, die das Aufziehen der Uhr erledigen, indem sie diese drehen und dadurch ihre Schwungmasse veranlassen, die Feder zu spannen, will gut überlegt sein. Natürlich ist es angenehmer, seine Uhr nicht nach jeder Auszeit neu stellen zu müssen. Diese Komfortsteigerung bezahlt man allerdings mit der langfristig gesehen sinnlosen zusätzlichen Abnutzung in der Zwischenzeit.

Warum überhaupt noch eine Quarzuhr?

Weil – wie wir gesehen haben – die höhere Genauigkeit einer Quarzuhr einerseits nicht die entscheidende Rolle spielt und der ganze Reiz des Tragens einer Armbanduhr sich andererseits erst mit dem nervösen Ticken feiner Mechanik einstellt, deren aktivster Bestandteil sich ohne Pause jahrein, jahraus mit einer Geschwindigkeit dreht, die derjenigen eines Rades an einem Schnellzug entspricht, drängt sich eine Frage zwangsläufig auf: Warum überhaupt (noch) Quarz?

Wir meinen, eine Quarzuhr gehört in jede Sammlung – und sei es eine, die lediglich aus zwei Uhren besteht. Als Zweituhr wird sie zur Referenz für das gelegentliche Nachstellen mechanischer Modelle. Nebenbei ist eine Quarzuhr theoretisch (je nach Gehäuse) robuster und meist günstiger zu bekommen. Geht es beispielsweise einmal rauer zur Sache, kann man seiner mechanischen Uhr so eine Auszeit gönnen. Besonders geeignet sind die nahezu unverwüstlichen G-Shock-Modelle von Casio oder – falls es eine Uhr aus der Schweiz sein soll – die „I.N.O.X.“-Linie aus dem Hause Victorinox.

Quarz ja, aber definitiv keine Quarzuhr: Die Grande Seconde Skelet-One Tourbillon von Jaquet Droz besitzt ein zweites Zifferblatt aus rauchgrauem Schweizer Quarz. Tourbillon, veredelte Brücken und Schrauben, skelettierte Schwungmasse aus 18 Karat Rotgold und eine Gangreserve von sieben Tagen sind nur einige Vorzüge dieser ganz außergewöhnlichen Uhr. © Jaquet Droz

Japanisches Déjà-vu

Wer indessen an elektronischen Armbanduhren keinen Gefallen findet, muss zumindest anerkennen, dass wegen ihnen die mechanische Uhr in mancher Beziehung attraktiver geworden ist. Auch wurde es erst zu etwas Besonderem im Sinne einer von Kennerschaft zeugenden Entscheidung, ein von Federkraft angetriebenes Wunderwerk zu besitzen, als es Alternativen gab. Dementsprechend setzten sich in den 1990er-Jahren bei vielen Marken Sichtböden durch, welche die Beobachtung der mitunter prächtig dekorierten Werke ermöglichen.

Das Innere einer Quarzuhr ist im Vergleich dazu in ästhetischer und kinetischer Hinsicht eine derart frugale Angelegenheit, dass ein Sichtboden keinen Sinn ergibt. Trotzdem entschied man sich bei der Caliber 0100 von Citizen dafür. Die Neuentwicklung kommt sozusagen aus eigener Kraft (das heißt ohne Empfänger für Funksignale) auf eine Abweichung von plus/minus einer Sekunde pro Jahr. Die hierfür verantwortliche teure Technik wollte man offenbar unbedingt zeigen. Was für ein Déjà-vu: Wieder haben die Japaner in Sachen Präzision die Nase vorn und offerieren Elektronik zum Preis einer Schweizer Luxusuhr. Dabei darf eines als gegeben vorausgesetzt werden: Elektronik wird immer von neuerer Elektronik entwertet. Die Faszination an der wie von Geisterhand bewegten, ja scheinbar belebten Mechanik währt hingegen ewig.

Weitere Informationen zu den abgebildeten Uhren:

Jaeger-LeCoultre
www.jaeger-lecoultre.com

Montres Jaquet Droz SA
www.jaquet-droz.com

Swatch AG
www.swatch.com

 
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