Slogan, Claim, Markenmotto – alles schön und gut. Doch wozu braucht man das noch? Und was, wenn die Relität nichts gemein hat, mit den wohlgesetzten Worten?

Konnten Sie das Leben in den letzten drei Monaten in vollen Zügen genießen? Dank des 9-Euro-Tickets boten S-Bahnen und Regionalzüge zuletzt einen besonders hohen Hygge-Faktor. Kuschelig wie in Sardinenbüchsen war es häufig – aller AHA-Vernunft zum Trotz. Sofern die Züge fuhren. Kein Wunder, dass der alte Claim „Die Bahn kommt“ irgendwann aufs Abstellgleis geschoben wurde. Er war sowieso von Anfang an unvollständig. So ungefähr hätte er lauten müssen, dann wäre der Bahn so manches zusätzliche Agenturpitch erspart geblieben: „Die Bahn kommt gern zu spät, nicht selten gar nicht, oft mit überfüllten Waggons und schmutzigen Sitzen – und eigentlich immer mit unzumutbaren sanitären Einrichtungen, die aber gut zu den visuellen und olfaktorischen Zumutungen passen, die man von den Bahnhöfen kennt.“

Ganze Arbeit geleistet

Wie sich hier anschaulich zeigt, ist es tatsächlich eine echte Herausforderung, einen Slogan zu verfassen, der die Serviceleistung eines Unternehmens realistisch abbildet und gleichzeitig nicht zu lang ist. Versuchen wir es hiermit: „Wenig Freude am Fahren“. Schon recht griffig. Trifft außerdem inhaltlich ziemlich genau ins Schwarze. Der Nachteil: Der Claim ist einem anderen zu ähnlich, der bereits vor vielen Jahren davon ablenken musste, dass die vierrädrige Beförderungsalternative gleichfalls frustriert. Die Politik hat nun einmal ganze Arbeit geleistet und beim jahrzehntelangen Kaputtsparen keinen Teil der deutschen Infrastruktur vernachlässigt, sodass man nicht mehr durchgehend weiß, ob man sich in einer Bananenrepublik oder in der führenden Wirtschaftsnation des Kontinents aufhält.

Wozu überhaupt noch Claims?

„Hoch dynamisch von Stau zu Stau“ wäre übrigens noch ein geeigneteres Markenmotto für den bayerischen Autobauer. Nur ist im Marketing und Kommunikationsdesign ohnehin umstritten, ob Unternehmen heutzutage weiterhin einen Claim brauchen. Ein plausibles Pro-Argument resultiert aus dem Bedürfnis, Marken mit geringem Bekanntheitsgrad zu erklären. Bloß sind die gewählten Formulierungen meist so nebulös, dass man nach dem Lesen genauso schlau ist wie vorher.

Gegen Claims wiederum spricht die regelmäßig aberwitzige Diskrepanz zwischen der sich offenbarenden Selbstwahrnehmung und der tristen real existierenden Customer Experience. Das beste Beispiel liefert die Bahn mit ihrem aktuellen Slogan: „Diese Zeit gehört Dir.“ Klingt nach einer Flucht ins Metaphysische. Dabei sollte gewusst werden: Gibt es unleugbare handwerkliche Defizite beim Service Design, hilft auch das Ablenken von der Realität nicht weiter. In diesem Fall sollte man sich besser an Ludwig Wittgenstein orientieren. Von dem stammt bekanntermaßen der folgende, zufällig ebenfalls an einen Slogan erinnernde Satz: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Herzlichst
Michael Graef

Chefredakteur und Mitbegründer von COLD PERFECTION

 
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