Acht Arme müsste man haben, dann könnte man den Rubik’s Cube vielleicht noch schneller lösen. Für uns ist das 1974 in Ungarn erfundene Drehpuzzle ein klarer Fall von Design für die Ewigkeit. Das Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.

50 Jahre und kein bisschen Weise? Wer den 1974 in Ungarn erfundenen und ab 1980 weltweit vermarkteten Zauberwürfel irgendwann frustriert in die Ecke gelegt hat, befindet sich in guter und zahlreicher Gesellschaft. Inzwischen sind Anleitungen dank Internet zwar überall und jederzeit verfügbar. Statt durch das Lösen an sich wird man jedoch höchstens noch für Erstaunen sorgen, wenn man es im Eiltempo schafft. Der zu schlagende Weltrekord liegt bei drei Sekunden plus einen Wimpernschlag. Deutlich mehr Zeit müssen Sie investieren, um unsere Anmerkungen zum Rubik’s Cube zu lesen. Doch wir behaupten selbstbewusst: Es lohnt sich.

Die Welt als Würfelspiel zu betrachten, das jeden Augenblick mit einem Knall enden kann, ist kein unbedingtes Indiz für eine negative Grundeinstellung. Es reicht, in den 1980er-Jahren geprägt worden zu sein. Warum der Kalte Krieg bis auf ein, zwei Beinahe-Weltuntergänge gut ausging, erklärt die Wissenschaft mithilfe der Spieltheorie. Die Rettung der Welt in drei Worten: Gleichgewicht des Schreckens. Zum Glück bietet das Narrenschiff, mit dem wir segeln, genügend spielerische Ablenkung. Dazu zählt insbesondere der Rubik’s Cube. Er debütierte kurz vor dem Höhepunkt des Rüstungswettlaufs zwischen den USA und der UDSSR auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, um wenig später den gesamten Planeten zu erobern.


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Bekanntermaßen setzt der nach seinem Erfinder Ernő Rubik, einem Budapester Architekturprofessor, benannte Rubik’s Cube ebenfalls auf Würfel beziehungsweise Würfelfragmente. Zusammengesetzt ergeben sie einen großen bunten Würfel, der einen laut Werbeversprechen aus den Anfangstagen niemals loslassen würde. Wir für uns können das bestätigen. Insgesamt ist dieses merkwürdige, zunächst von keinem Spielzeughersteller verstandene Ding zu einem der meistverkauften Spiele aller Zeiten geworden. Überdies avancierte der Zauberwürfel neben der Swatch-Uhr zu einem Symbol seiner Zeit und allgemein zur kulturellen Ikone.


 
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Zerstörung als Weg zur Lösung?

Trotz seines Kunststoffmaterials (der Prototyp war demgegenüber aus Holz) und den sich bei hinreichender Nutzung alsbald ablösenden farbigen Aufklebern ist der Rubik’s Cube für uns ein klarer Fall von Design für die Ewigkeit. Die vordringlichste hier zu diskutierende Frage ist indes nicht die nach der schnellsten Lösungsmöglichkeit des Drehpuzzles. Das wäre reichlich überhastet. Wichtiger ist, dass man den Aufbau versteht, womit wir uns gleich kurz befassen wollen. Darauf aufbauend findet man nämlich erheblich schneller den oft vergeblich gesuchten Weg zurück zu dem geordneten Zustand, den der Rubik’s Cube beim Auspacken besitzt.

Nebenbei: Wer je darüber nachdachte, die Aufkleber abzulösen, um sie richtig angeordnet neu aufzukleben, hatte die Idee mit Sicherheit nicht exklusiv.

Wahrscheinlich seltener ist die Einsicht, dass wir es mit 26 und nicht mit 27 Steinen zu tun haben, wie es bei einem 3x3x3-Würfel rechnerisch zu erwarten wäre. Drei Seiten à drei mal drei Felder. Ja genau, was ist mit dem fehlenden Stein passiert? Tut man es einem findigen Jugendlichen gleich, der zum Autor eines Bestsellers wurde, nachdem er zu Beginn des Zauberwürfel-Booms sein Exemplar neugierig zerlegte, weiß man es – und entdeckt zusätzliche Besonderheiten. Doch schön der Reihe nach.

Der Aufbau des Rubik’s Cube

Innen im Rubik’s Cube, wo der 27. Stein liegen müsste, befindet sich ein System aus gekreuzten Achsen, an denen die mittleren Steine einer jeden Fläche – starr – befestigt sind. Relativ zur Mechanik verbleiben diese also stets am angestammten Platz und besitzen lediglich eine farbige Fläche. Daneben existieren zwei weitere Arten von Steinen: die Ecksteine mit jeweils drei sowie die Kantensteine mit zwei Flächen nach außen. Wer das begriffen hat, erkennt damit nicht automatisch den Lösungsweg. Dafür weiß man, worauf man sich im Hinblick auf einen Algorithmus konzentrieren muss.

Ernő Rubik verfolgte denselben Ansatz und analysierte die Gesetzmäßigkeiten der von ihm erdachten Struktur, bis er nach einem Monat des Ausprobierens und Scheiterns sozusagen imstande war, den Zauberwürfel-Code zu knacken. Gemessen an den über 43 Trillionen unterschiedlichen Stellungen (beim Schach ist die Zahl freilich sehr viel höher) ist das beeindruckend schnell. Wollte man sie alle händisch testen, bräuchte man weitaus mehr Zeit, als seit dem angenommenen Urknall verstrichen ist. Quasi ein weiterer Grund, den Rubik’s Cube als Design für die Ewigkeit aufzufassen.

Vorbild Jakobsleiter?

Anfänglich experimentierte Ernő Rubik mit einer konstruktiven Lösung, die tatsächlich aus 27 von Gummibändern zusammengehaltenen Würfeln bestand. Hierfür gibt es ein berühmtes Vorbild, die sogenannte „Jakobsleiter“. Bei diesem jahrhundertealten Spielzeug halten Bänder eine Kette aus Holz- oder Kunststoffblöcken so zusammen, dass das Bewegen eines einzelnen Elementes einen Impuls an das jeweils nächste Element weitergibt. Indem auf diese Weise – ähnlich wie bei Dominosteinen – nacheinander sämtliche Elemente zum Umklappen gebracht werden, ergibt sich die faszinierende Illusion einer Bewegung von ganz oben nach ganz unten.

Was den Rubik’s Cube betrifft, scheiterte die Verwendung von (Gummi-)Bändern, weil sie leicht rissen. Das Prinzip taucht in Form dünner, kaum sichtbarer Fäden aus Nylon beim 1987 herausgebrachten Rubik’s Magic, einem Geduldsspiel aus quadratischen, umklappbaren Platten, wieder auf.

Ist der Weg das eigentliche Ziel?

Kommen wir noch einmal auf den Aspekt des Zerstörens zu sprechen und nähern uns dem Rubik’s Cube philosophisch. Ziel des Spiels, das keins werden sollte (Ernő Rubik wollte ursprünglich bloß seine Studenten mit einem passenden Hilfsmittel in räumlichem Denken trainieren) ist die Wiederherstellung eines notwendigerweise zuvor zu zerstörenden Ausgangs- respektive Auslieferzustandes. Hierin unterscheidet sich der Rubik’s Cube von vielen anderen Puzzles. Jedenfalls von jenen, die aus ausgestanzten Pappteilen bestehen, die man durcheinandergewürfelt im Karton erhält.

Wäre nur das Ziel das Ziel, hätte man bei einem nagelneuen Zauberwürfel nichts zu tun. Man hält ja den angestrebten Endzustand von Anfang an in Händen. Anders als im alten Testament werden wir, wenn man so will, nicht durch Erkenntnis aus dem „Paradies“ hinausbefördert, sondern hoffen umgekehrt, dass uns am Ende das Erkennen des richtigen Weges erlaubt, den glückseligen Urzustand wiederherzustellen.

Ordnung ins Chaos bringen

Was aber sagt es eigentlich über uns aus, dass wir der Stellung mit den einheitlich farbigen Flächen all den unzähligen alternativen Zuständen, den der Rubic´s Cube annehmen kann, so klar den Vorzug geben (nicht negieren wollend, dass das Erstellen von gemusterten Flächen sich durchaus einiger Beliebtheit erfreut)? Handelt es sich nicht um den Versuch, zumindest im Kleinen Ordnung in ein Universum zu bringen, das im Grunde chaotisch ist und möglicherweise sinnlos und ohne Absicht entstand?

Mit einem Augenzwinkern könnte man sagen, dass die einzige Gewissheit in dem Zusammenhang vielleicht die witzigen komplett monochrom gefärbten Varianten des Zauberwürfels böten. Sie erscheinen immer aufgeräumt, opfern für diesen paradiesischen Zustand allerdings die Erkenntnisfähigkeit.

Es gibt für alles eine Lösung

Lieber ist uns daher der „Sensory Cube“ als gelungenes Beispiel für barrierefreies Design. Dank haptischer Unterscheidbarkeit eignet sich das Modell auch für Blinde und Menschen mit Sehbehinderung.

Für Ernő Rubik steht seine Erfindung, die zur Entstehung eines regelrechten Zoos von verschiedenen Arten von Zauberwürfeln führte, übrigens stellvertretend für die Überzeugung, dass man niemals aufgeben darf und dass es für alles eine Lösung gibt. Eingedenk der Tatsache, dass dieser Beitrag mit einer bedrückenden Feststellung über die Natur des Menschen anfing, stimmt dieser Gedanke zum Schluss wohl angenehm versöhnlich.

Weitere Informationen:
Spin Master Ltd.
www.rubiks.com

Bildhinweis:
Das Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz (und verzichtet auf die letzte Genauigkeit hinsichtlich der Anordnung der Farben eines echten Zauberwürfels).

 
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