In diesem Teil unserer Serie Design für die Ewigkeit ist alles etwas anders. Der BIC Cristal besitzt viele positive Eigenschaften, doch er ist ein anachronistisches Wegwerfprodukt.

In dieser Folge unserer beliebten Serie ist alles ein wenig anders als sonst. Das deutet schon das ungewohnte Fragezeichen im Titel an. Dieses Mal widmen wir uns nämlich einem Wegwerfprodukt – wenngleich nicht irgendeinem. Das zwingt uns zu einer Positionsbestimmung. Grundsätzlich schadet es ja nicht, sich mit dem eigenen Tun so oft es geht kritisch auseinanderzusetzen. Das bringt uns zu der Frage, was Design für die Ewigkeit überhaupt meint. Das Hinterlassen dauerhafter Spuren in der Umwelt, was mit dem BIC Cristal problemlos gelänge? Wohl kaum. Dann vielleicht eher die Unvergänglichkeit einer gelungenen Form? Eine solche in einem Ding erkennen zu wollen, das sinnbildlich für die Wegwerfgesellschaft steht, erscheint mindestens so paradox wie die Wahl des Materials für den weltweit am meisten verkauften Kugelschreiber. Nicht verrottend, biologisch inkompatibel – ein Müllproblem für die Ewigkeit rund um ein Produkt mit überschaubarer Nutzungsdauer. Was für ein überlebtes Prinzip!

Design für die Ewigkeit – eine reine Phantasmagorie?

Die Diskussion wäre spätestens jetzt zu Ende, hätte der 1950 eingeführte und inzwischen mehr als 100 Milliarden Mal produzierte BIC Cristal nicht auf der anderen Seite eine Reihe bemerkenswerter Eigenschaften, die es lohnend erscheinen lassen, über eine künftige makellose Produktgeneration nachzudenken. Dazu kommen wir gleich – im Anschluss an einen kurzen Exkurs zum Thema Form.

Die Idee, eine Funktion in eine für alle Zeit gültige Gestalt übersetzen zu wollen, ist keine Kleinigkeit. Hier amalgamieren Ideal und Anmaßung. Eigentlich ist bereits das Wort „Ewigkeit“ angesichts der Vergänglichkeit allen Seins eine hyperbolische Figur. Handelt es sich bei dem Konzept aber sogar um eine reine Phantasmagorie? Das Studium der Natur zeigt, dass es grundsätzlich denkbar ist, eine abschließende Lösung eines Problems zu erreichen. Ein naheliegendes Beispiel sind die im Laufe der biologischen Evolution wiederholt erfundenen spindelförmigen Körperformen von Fischen und Meeressäugern. Unendlich lange konnte die Natur gewissermaßen alle möglichen Formen testen und verwerfen und kam dabei zum immer gleichen Ergebnis.

Federleicht und transparent – der BIC Cristal konvergiert zum Immateriellen hin

Zu behaupten, die Gestaltung eines Kugelschreibers sei komplizierter als das vorgenannte Beispiel, mag absurd klingen. Nicht jedoch, wenn man berücksichtigt, dass hierbei ein die Komplexität gehörig steigernder Faktor zum Tragen kommt: individuelle Vorlieben. Diese funktionieren nicht nach den Gesichtspunkten energetischer Notwendigkeit, die ganz wesentlich über die Baupläne von Organismen mitbestimmen.

Das führt uns zur Beschaffenheit des BIC Cristal. Er ist leicht wie eine Feder – und geringere Masse bedeutet weniger Abfall. Folgender Gedanke darf nicht als Entschuldigung oder Rechtfertigung missverstanden werden: Verglichen mit Wechselminen aus Metall ist der Materialeinsatz gar nicht so verschwenderisch. So anachronistisch es ist, ein Schreibgerät wegzuwerfen, nur weil seine Mine verbraucht ist, so sehr hat man sich hier bemüht, Stift und Mine im Sinne der Verringerung des Rohstoffeinsatzes zu einer Einheit zu verschmelzen. In Verbindung mit dem geringen Gewicht lässt das den Kugelschreiber zum Immateriellen hin konvergieren. Dematerialisation als Antwort auf Rohstoffknappheit? Die Art, wie der BIC Cristal in der Hand liegt, gefällt allerdings nicht jedem. Manche mögen es schwerer, was dem Geschriebenen freilich nicht automatisch mehr Gewicht verleiht.

Designklassiker und Lebensretter

Perfekt ist beim BIC Cristal die das Wegrollen verhindernde, an Bleistifte erinnernde sechseckige Form des Schafts. Dessen Transparenz wiederum gibt praktischerweise jederzeit Aufschluss über den Füllstand der Mine. Im Gegensatz zu dem in der jeweiligen Schreibfarbe gehaltenen Stopfer als Verschluss des Plastikrohrs und der emblematischen Kappe. Letztere fällt durch zweierlei auf. Erstens besitzt sie ein merkwürdiges Loch an der Spitze, das seit 1991 fester Designbestandteil ist. Dass die Menschheit im Müll ertrinkt, wird dadurch nicht verhindert. Stattdessen bewahrte man hierdurch wer weiß wie viele Kleinkinder vor dem Erstickungstod.

Das zweite bemerkenswerte Detail der Kappe ist ihr integrierter, als rudimentär zu bezeichnender Clip. Der schützt bloß suboptimal vor dem Heraus- beziehungsweise Herunterfallen. Was bei einem Pfennigartikel eine untergeordnetere Rolle spielt. Bei einem Montblanc Meisterstück – einem weiteren großen Klassiker – sähe das anders aus. Diese Antithese des BIC Cristal besitzt ein in dieser besonderen Hinsicht deutlich ungünstigeres Verhältnis zwischen Oberfläche und Masse. Entomologen wissen, dass hierin der Grund liegt, warum beispielsweise Insekten zumeist Abstürze aus Höhen schadlos überstehen, die – umgerechnet – für Menschen tödlich wären.

Desiderat und Fazit

Kommen wir sozusagen zum Schlussplädoyer. Es ist wohlgemerkt nicht unsere Aufgabe, den über Jahrzehnte weiterentwickelten BIC Cristal in irgendeiner Weise zu nobilitieren, dadurch von offenkundigen Schwächen abzulenken und so den Absatz zu fördern. Könnten wir uns etwas wünschen, sähen wir gern eine überarbeitete Version aus nachhaltigem Kunststoff. Lösungen existieren zur Genüge. Mit Traceless Materials haben wir unlängst eine vorgestellt, die nicht in Konkurrenz tritt zur Nahrungsproduktion. Zudem erhoffen wir uns für die Zukunft auswechselbare Minen, um die Nutzungsdauer zu verlängern. Schließlich erfordert auch ein kompostierbarer Stift für seine Herstellung Energie.

Beibehalten würden wir hingegen die Qualität der Mine. Ein im englischsprachigen Ausland verwendeter Slogan verspricht: „Writes first time, every time.“ Besser lässt es sich nicht ausdrücken. Der BIC Cristal schreibt stets sauber, flüssig und frei von Aussetzern, schmiert und kleckst nicht. An einen guten Füllfederhalter reicht er – und das gilt für sämtliche Kugelschreiber – zwar nicht heran. Doch bezogen auf sein Segment ist er praktisch zu Ende entwickelt. Schwer zu sagen, was sich noch verbessern ließe. Eine integrierte Möglichkeit zur Digitalisierung des Geschriebenen? Oder ein von künstlicher Intelligenz geregelter Autopilot, der den Stift führt, während das Gehirn sich eine Pause gönnt? An anderer Stelle wiesen wir zuvor darauf hin, dass Überlegungen, das Schreiben von Hand aussterben zu lassen, gefährlicher Unfug sind. Was wurde andererseits in der Vergangenheit nicht alles propagiert … Radioaktivität etwa. Rauchen, Pestizide und Asbest ebenfalls. Und nicht zu vergessen: Wegwerfartikel aus Plastik.

Weitere Informationen:
SOCIETE BIC
https://de.bicworld.com

 
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