Mit „Loewe. 100 Jahre Designgeschichte – 100 Years Design History“ schließt Kilian Steiner eine Lücke. Bislang nämlich waren fundierte Publikationen zur Designgeschichten der Unterhaltungselektronik Mangelware.

Mit „Loewe. 100 Jahre Designgeschichte – 100 Years Design History“ hat Kilian Steiner eine Lücke geschlossen oder zumindest deutlich verkleinert. Denn bislang waren fundierte Publikationen zur Designgeschichte der Unterhaltungselektronik Mangelware, wie der Autor und Designhistoriker selbst anmerkt. Allein aus diesem Grund erschien es uns lohnenswert, sich eingehend mit seinem neuen Buch zu befassen, das im Stuttgarter Architektur- und Designverlag „av edition“ erschienen ist.

An so manchen früheren Haushaltsnamen erinnert sich heute fast niemand mehr. Anders im Fall von Legenden. Trotzdem es um Loewe nach der Jahrtausendwende zunehmend stiller wurde und zuletzt auf die Insolvenz des Jahres 2019 der Verkauf der Namensrechte an einen ausländischen Investor folgte, hat die Strahlkraft der vor 100 Jahren gegründeten Design- und Technologie-Ikone Bestand. Ihren Namen verdankt sie den Berliner Brüdern David Ludwig und Siegmund Loewe. Die beiden wagten im Januar 1923, ein Dreivierteljahr vor der Einführung des Rundfunks in Deutschland, den Schritt in die Selbständigkeit.


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Mit „Radiofrequenz GmbH“ wählten die Loewe-Brüder einen deskriptiv-spröden Unternehmensnamen, der noch weit vom späteren Nimbus entfernt war. Dafür jedoch besaßen sie etwas anderes, das den Aufstieg sicherte. Da waren erstens die fundierten Kenntnisse des auf Hochfrequenztechnik spezialisierten studierten Elektrotechnikers und Physikers Siegmund Loewe. Zweitens verfügte man mit dem Talent und den frischen Ideen Manfred von Ardennes über einen wertvollen Trumpf. Der junge Schulabbrecher und Autodidakt trug wesentlich zur Entwicklung von einem der ersten integrierten Schaltkreise als einer Grundlage für das Fernsehen bei.


 
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Loewes Weg vom „Ingenieurs-Design“ zum Gegenwartsdesign

Bereits an diesem kleinen Detail zeigt sich: die Betrachtung des Beginns der Firmengeschichte lässt die Leserschaft von „Loewe. 100 Jahre Designgeschichte – 100 Years Design History“ nicht bloß in vergangene Zeiten eintauchen, sie führt im Grunde in eine völlig andere Welt. Abgesehen davon, dass diese ohne die mediale Schnelligkeit und Aufgeregtheit unserer Tage auszukommen hatte, gab es – gemessen an den heutigen Maßstäben – außerdem noch keine Designenden. Stattdessen kümmerten sich die mit der Konstruktion befassten Personen in einer Doppelrolle zugleich um das sogenannte „Ingenieurs-Design“.

Nur anfänglich resultierte das in beinahe vollkommen von technischen Bauteilen vorgegebenen Formen, die teilweise Lampensockeln ähneln. Ausführlich beschreibt Kilian Steiner in Wort und Bild die weitere Reise über vom Art déco und Stromlinien-Moderne beeinflusste Entwürfe der 1930er-Jahre bis hin zu dem durch namhafte Studios erarbeiteten Gegenwartsdesign, das Loewe zur international für herausragende Produktgestaltung renommierten Marke machte.

Die Beschäftigung mit Loewe erlaubt Rückschlüsse auf die allgemeine Designgeschichte

Einen vergleichbaren Prozess durchlief ebenfalls manch anderes Unternehmen. Bei aller Spezifität können deshalb viele Rückschlüsse auf die allgemeine Entwicklung des Designs in den letzten 100 Jahren aus der Unternehmensgeschichte von Loewe gezogen werden (der Titel verspricht also nicht zu viel). Die hauptsächlichen Phasen, in die sie zerfällt, bilden auch die Grundstruktur von Kilian Steiners Buch. Es ist dementsprechend untergliedert in die drei Kapitel: Anfänge von 1923 bis 1945 – die Zeit des Aufbaus und der Zerstörung –, zweitens die nach dem Weltkrieg einsetzende und bis 1985 reichende Phase, die Wiederaufbau und die Bewältigung vieler Umbrüche kennzeichnen, sowie schließlich drittens die Zeit bis in die Gegenwart.

Nicht im Entferntesten schweigt sich Steiner über das dunkelste Kapitel der Firmengeschichte von Loewe aus: die Enteignung und „Arisierung“ durch die Nationalsozialisten.

Gradmesser Designmaturität

Besonders an „Loewe. 100 Jahre Designgeschichte – 100 Years Design History“ hervorzuheben ist die merklich zum Erkenntnisgewinn beitragende Entscheidung, die jeweils in den verschiedenen Phasen der Geschichte von Loewe erreichte „Designmaturität“ zu bewerten. Hierbei wird ein Konzept des Designers und Designmanagementforschers Jan-Erik Baars aufgegriffen, welches sich an der „dänischen Designleiter“ orientiert und die (Unternehmens-)Entwicklung anhand der drei Stufen „Design als Funktion, Design als Prozess und Design als Strategie“ unterscheidet. Daraus resultiert dann spätestens eine Übertragbarkeit im Sinne eines allgemeinen Verständnisses, die es zusammen mit der insgesamt gelungenen Darstellung rechtfertigt, eine ausdrückliche Empfehlung auszusprechen.

Dass die parallel abgedruckte englische Übersetzung mit zu bezahlen ist und den Umfang nahezu verdoppelt, darf als grundsätzliche – wirtschaftliche – Verlagsentscheidung kritisiert werden, schmälert aber den vorzüglichen Gesamteindruck nicht, den Kilian Steiners Buch bei uns hinterlässt. Es sollte künftig besser in keiner gut sortierten Sammlung zu den Themen Design und Designgeschichte sowie Technikgeschichte fehlen.

Kilian Steiner
Loewe. 100 Jahre Designgeschichte – 100 Years Design History
Hardcover, 200 Seiten, Format: 15,5 × 22 cm
ISBN: 978-3-89986-390-1

Weitere Informationen:
av edition GmbH
www.avedition.de

 
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