Wer war Gerd A. Müller? Bravourös beantwortet Lucia Hornfischer die Frage in ihrer neuen Monografie über den „vergessenen Designer“, den wiederzuentdecken jede Mühe lohnt.

Wer war Gerd A. Müller? Muss man ihn überhaupt kennen? Beide Fragen beantwortet Lucia Hornfischer in ihrer im Verlag av edition erschienenen Monografie. Letztere implizit – mit einem nachvollziehbaren und klaren Ja. Wir haben uns das Ergebnis einer aufwendigen Spurensuche genau angesehen und dabei viel über einen zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Designer erfahren, den wiederzuentdecken jede Mühe lohnt.

Es gibt manche, die das fragwürdige Glück genießen, für ihr Design wie Hollywoodstars gefeiert und hofiert zu werden. Sie inszenieren sich demgemäß und sorgen mit den wundersamen Hervorbringungen ihrer schöpferischen Kraft immer wieder für Aufsehen. Es mögen passable Dinge darunter sein, mitunter sogar Vorzügliches oder des Kaisers neue Kleider. Ungeachtet der tatsächlichen Qualität der Entwürfe wird gehypt und geschwärmt. Das funktioniert deshalb so gut, weil eher selten als oft Fachleute mit Sachverstand entscheiden, ob etwas wert ist, darüber zu berichten. Allzu gern wird daher unreflektiert nacherzählt, was Soufflierende aus PR-Agenturen und Werbeabteilungen oder sonstige alimentierte Beeinflussende vorsagen.

Und dann wiederum gibt es andere, die das Design voranbringen – die im Stillen großartige Beiträge leisten im Sinne der Verbesserung und Erleichterung des Lebens von Millionen, deren Namen dennoch fast keiner kennt. Nun ließe sich argumentieren, dass dieses Los nahezu alle unter der Sonne mit Gerd A. Müller als dem „unbekannten Designer“ teilen, den Lucia Hornfischer für ihr neues Buch wiederentdeckt hat. Der Krankenpfleger oder die Kraftfahrerin etwa, die die Gesellschaft am Leben erhalten und dafür von der Politik mit floskelhaften Forderungen nach Respekt abgespeist werden. Symptome einer verrückt gewordenen Welt. Sie ein Stück weit besser zu machen, ist freilich keine leichte Aufgabe und erst recht keine glamouröse.

Gerd A. Müller – spurlos verschwunden?

Gerd A. Müller war ebenso niemand, der sich mit Oberflächlichkeiten begnügte oder das Scheinwerferlicht suchte. Statt süchtig nach Aufmerksamkeit war der 1932 in Frankfurt am Main geborene Gestalter von Industrieprodukten, Ausstellungen und Druckgrafiken mehr eine Art Archetyp des Uneitlen. Das erklärt vielleicht, warum er kein persönliches Archiv hinterließ – und Lucia Hornfischer somit eine Menge Arbeit im Hinblick auf die Spurensuche. Öffentliche Sammlungen waren hierfür unergiebig und Unternehmensarchive teilweise nicht mehr vorhanden. Beinahe wie eine Archäologin trug die Autorin zusammen, was sich finden ließ, spürte Zeitzeugen auf und führte im „Oral history“-Verfahren Interviews.

Drei Schaffensphasen unterscheidet Lucia Hornfischer und zeichnet sie in ihrem Buch nach. Im Anschluss an seine Ausbildung zum Innenarchitekten fing Gerd A. Müller 1955 als angestellter Gestalter bei Braun an, wo er praktische Erfahrungen sammelte, den Stil des Hauses mitprägte und zu netzwerken begann, wie man heute sagen würde. Kontakte nützten ihm in Phase zwei: 1960 machte sich Müller selbstständig. In der Folgezeit half er unter anderem Lamy, sich zur weltweit wahrgenommenen Marke zu entwickeln. In Phase drei widmete er sich schließlich ab 1980 vermehrt Themen des Natur- und Umweltschutzes.

Typisch Gerd A. Müller: Der zukunftsweisende Designansatz

Dass Gerd A. Müller trotz des Einflusses seiner Arbeiten kaum bekannt ist und war, liegt nicht zuletzt daran, dass diese häufig als Werksentwürfe eingeführt wurden, wonach er gar nicht namentlich in Erscheinung trat. Anders als im Fall späterer „Design-Posterboys“. Deren Nennung soll das Interesse als Teil des Marketings steigern und überhöhte Preise rechtfertigen.

Im Verhältnis dazu ist der Designansatz von Gerd A. Müller, Unauffälliges zu verwirklichen, das dem Menschen dient – nicht umgekehrt –, nachgerade spießig. Zugleich aber höchst verantwortungsbewusst und deswegen wegweisend und nachahmenswert. Die Beschäftigung mit der Formfindung des 1991 Verstorbenen beispielsweise in Relation zu den Prinzipien von Bauhaus und HfG Ulm kann für diejenigen, die erst noch einen eigenen Standpunkt finden müssen, äußerst gewinnbringend sein. Hilfreich in dem Zusammenhang sind die drei im Band enthaltenen produktsprachlichen Einzelstudien zur Küchenmaschine KM 3 von Braun, dem Füllhalter Lamy 2000 sowie dem Fernseh- und Phonogeräteprogramm Wega System 3000.

Fazit

Wenn es an der Monografie der ausgebildeten Industriedesignerin Lucia Hornfischer eines zu kritisieren gibt, dann dass aufgrund der Entscheidung des auf Architektur und Design spezialisierten Stuttgarter Verlags av edition, anstelle einer separaten englischsprachigen Ausgabe eine zweisprachige Version zu produzieren, die Abbildungen in vielen Fällen aus Platzgründen recht klein ausgefallen sind. Das macht sich besonders bei einigen Zeichnungen und Plakaten unangenehm bemerkbar. Ganz abgesehen davon, dass die Leserschaft ohne einen unbedingten Mehrwert für zwei Texte zahlt. Sowohl das Werk von Gerd A. Müller als auch die kongeniale Leistung von Lucia Hornfischer hätten eine größere „Bühne“ verdient.

So viel zum Thema Kritisieren auf hohem Niveau und zum Desiderat einer künftigen, überarbeiteten Auflage. Wobei – das soll nicht unerwähnt bleiben – bereits jetzt das Schriftbild in absolut vorbildlicher Weise groß und gut lesbar ist. Insgesamt, das sei ausdrücklich betont, handelt es sich bei „Gerd A. Müller. Der unbekannte Designer“ um ein gelungenes und fundiertes Buch von klarer Strukturiertheit, verfasst von einer sehr talentierten Autorin. Wir möchten es nicht mehr missen, während wir auf manch andere Bücher über sogenannte „Stardesigner“ getrost verzichten können.

Gerd A. Müller. Der unbekannte Designer. The Designer who got forgotten
Lucia Hornfischer
192 Seiten, 17 x 24 cm, Softcover mit Prägung und Banderole
200 Fotos und Zeichnungen
ISBN 978-3-89986-350-5

Weitere Informationen:
av edition GmbH
www.avedition.de

 
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