Der Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln widmet sich der neue Tagungsband der Gesellschaft für Designgeschichte, erschienen bei av edition und herausgegeben von Melanie Kurz und Thilo Schwer. Das Bild zeigt das Buchcover.

Die Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln war Gegenstand der letztjährigen Jahrestagung der Gesellschaft für Designgeschichte. Wir haben den zugehörigen Tagungsband, der soeben bei av edition erschienenen ist, genau studiert. Herausgebende sind Melanie Kurz und Thilo Schwer.

Ohne das Spielen wären die Individualentwicklung des Menschen und die kulturelle Evolution nicht vorstellbar. Das Thema muss deshalb logischerweise auch im Design Berücksichtigung finden. Jeder, der Dinge für Menschen gestalten will – egal für welchen Zweck –, sollte schließlich wissen, wie Homo sapiens gestrickt ist. Beziehungsweise Homo ludens, der „spielende Mensch“.

Der Mensch wird erst zum Menschen durch das Spielen

Ins Spiel gebracht wurde der Gegenbegriff zu Homo faber, der in der philosophischen Anthropologie handwerkliches Geschick herausstreicht, Ende der 1930er-Jahre. Der niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga unterstrich damit die zentrale Bedeutung des Spielens für das Menschsein. Dazu gehört, dass unsere Fertigkeiten zum großen Teil spielerisch entwickelt und erlernt werden. Das geht so weit, dass man inzwischen sogar im Management und bei der Produkt- und Organisationsentwicklung die Potenziale von Spiel und Spielzeug zu entdecken und systematisch auszunutzen beginnt.

Interessant in dem Zusammenhang ist die Idee, beispielsweise Legosteine als visualisierendes Mittel für die kreative Strategieentwicklung einzusetzen. Sie geht auf den Lego-Haupteigentümer Kjeld Kirk Kristiansen zurück. Daraus entstand später mit Lego Serious Play ein zusätzliches Standbein für den weltbekannten Spielzeughersteller aus Dänemark. Bei Fischertechnik hat man gleichfalls entdeckt, wie das Spiel der Monetarisierung der eigenen Produkte in der Erwachsenenwelt funktioniert. Mit Sets zur Veranschaulichung von Automatisierung, KI und Industrie 4.0 richten sich die Nordschwarzwälder erfolgreich an Unternehmen und Hochschulen.

Tagungsband vermittelt wichtige Grundlagen der Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln

Wer noch mehr Belege dafür benötigt, dass die Wichtigkeit des Spielens zunimmt, sei auf die viel zitierte „Gamification“ verwiesen. Hierunter wird die Übertragung von typischen Merkmalen des Spiels in spielfremde Kontexte verstanden. Ziele sind etwa das Aufbrechen von Komplexität, die Motivation und die Vermeidung von Monotonie nicht zuletzt bei modernen digitalen Anwendungsfällen.

Zeitlich weit davor setzt der jetzt erschienene Überblick der Gesellschaft für Designgeschichte zur Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln ein. Der von Melanie Kurz und Thilo Schwer herausgegebene Tagungsband zur letztjährigen Jahrestagung umfasst kulturgeschichtliche Stationen des Spielens ab Beginn der Industrialisierung. Insgesamt 12 Fachbeiträge beleuchten die vielfältigsten konzeptionellen und gestalterischen Aspekte und vermitteln wichtige Grundlagen für eine tiefgreifende Auseinandersetzung. Das geschieht aus designgeschichtlicher Sicht sowie aus der Perspektive der Spielwissenschaft (Ludologie).

Von harmlos bis bedrückend und folgenschwer

Eines der behandelten Themen – „Waffen und militärische Ausüstung in Systemspielzeugwelten“ – ist angesichts der Rückkehr des Krieges nach Europa von bedrückender Aktualität. Harmloser sind die Wurfpuppen der am Bauhaus ausgebildeten Designerin und Kunsthandwerkerin Alma Siedhoff-Buscher. Diese dienten der Schulung der Motorik und bestanden aus robustem Bast. Sie waren außerdem in ihrer Abstraktheit denkbar verschieden von Puppen für die Einübung gesellschaftsspezifischer Rollenmuster. Mit der späteren Barbie-Puppe als der berühmtesten von ihnen beschäftigt sich ein weiterer Beitrag.

Der Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln, die nicht mit Händen zu greifen sind, widmen sich gleich mehrere Aufsätze. Man vergisst leicht, dass Video- und Computerspiele schon ein halbes Jahrhundert lang existieren. Was sich seit der rudimentären Tennissimulation Pong getan hat, ist phänomenal. Neueste Entwicklungen lassen die Illusion der virtuellen Realität (Virtual Reality) derart perfekt erscheinen, dass sich die Frage nach Wirklichkeit neu stellt. Dass uns das gute alte Brettspiel dennoch erhalten bleibt, dürfte an seiner Wandlungsfähigkeit liegen. Besonders spannend ist daher das Phänomen der analogen Remediatisierung – vom Bildschirm aufs Spielbrett –, das im vorliegenden Band ebenfalls in den Blick genommen wird.

Fazit: Ein empfehlenswertes Buch für alle, die mit Gestaltungsfragen befasst sind

Verlag, Autorinnen und Autoren sowie den Herausgebenden ist eine lesenswerte Veröffentlichung zur Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln gelungen. Das Buch beinhaltet Beiträge von Jacob Birken, Björn Blankenheim, Gundolf S. Freyermuth, Rudolf Inderst, Frederik Kampe, Caroline Knoch und Markus Böhm, Melanie Kurz, Peter Podrez mit Christin Lumme und Sebastian Pfaller, Pia Scharf, Thilo Schwer, Michael Siebenbrodt.

Herausgeberin Melanie Kurz hat seit 2008 eine Professur für Designtheorie und Designgeschichte am Fachbereich Gestaltung der FH Aachen inne. Ihr Mitherausgeber Thilo Schwer ist seit 2019 Professor für Designgeschichte und -theorie an der HBK Essen.

Design für Spiel, Spaß, Spannung. Gestaltung von Artefakten zum spielerischen Handeln.
Herausgegeben von Melanie Kurz und Thilo Schwer
Stuttgart, avedition, Juni 2023
176 Seiten, Hardcover 17 x 24,5 cm
ca. 100 s/w Fotos und Abbildungen

ISBN 978-3-89986-396-3

Weitere Informationen:

av edition GmbH

www.avedition.de

Gesellschaft für Designgeschichte e.V.
www.gfdg.org

 
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