Aufmerksam geworden auf unser unlängst veröffentlichtes ChatGPT-Interview, bot sich Patrick Llewellyn an, dieselben Fragen zur Zukunft des Grafikdesigns zu beantworten, die wir zuvor der KI gestellt hatten. Das Foto zeigt den Designfachmann und CEO von 99designs.

Vielleicht haben Sie es mitbekommen: Nachdem ein geplantes Interview zur Zukunft des Grafikdesigns aus organisatorischen Gründen nicht zustande kommen konnte, entschlossen wir uns vor Kurzem dazu, ChatGPT zu den epochalen Veränderungen zu befragen – quasi als einen Mitverantwortlichen. Dass das für unsere Leserschaft durchaus interessant sein könnte, hatten wir uns vorgestellt. Dass aber nach nur wenigen Tagen mit Patrick Llewellyn ein ausgewiesener Fachmann seine Bereitschaft signalisierte, als Gegenüberstellung dieselben Fragen wie die KI zu beantworten, überraschte uns dann doch. Nachfolgend präsentieren wir Ihnen das – wie wir finden – lesenswerte Ergebnis.

Zuvor sei als Erläuterung für alle, die ihn noch nicht kennen, erwähnt, dass es sich bei Patrick Llewellyn um den CEO von 99designs by Vista und den Vice President für Digital- und Design-Services bei VistaPrint handelt. 99designs by Vista ist eine globale Kreativplattform, die es Marken jeder Größe ermöglicht, online mit professionellen freiberuflichen Designern zusammenzuarbeiten.


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Bisher erfolgten durch 99designs Auszahlungen an die eigene kreative Community in der Größenordnung von über einer halben Milliarde US-Dollar. Die Designschaffenden sind unter anderem in Bereichen wie Marken-, Logo-, Verpackungs– und Webdesign tätig, entwerfen Cover für Bücher und vieles andere mehr.


 
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CP: Wie ändern sich durch die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz die Workflows im Grafikdesign sowie die Rolle der Designschaffenden – und was bedeutet das für die Effizienz gestalterischer Prozesse?

Patrick Llewellyn: Wir haben kürzlich eine Umfrage unter 10.000 Freelance-Designern aus unserer Community durchgeführt und wissen nun, dass mehr als die Hälfte von ihnen generative KI-Tools einsetzt. In erster Linie nutzen sie sie zur Ideenfindung (56 %), für das Schreiben von Texten (42 %), für die Automatisierung einfacher Aufgaben (31 %) und die Datenanalyse (23 %). KI ist für Designer ein Tool, das sie einsetzen, um ihre Workflows zu beschleunigen und effizienter zu arbeiten. Dadurch gewinnen sie mehr Zeit für die menschlichen, kreativen und kollaborativen Aspekte ihrer Arbeit mit den Kunden.

So wie Photoshop in den 1990er-Jahren das Grafikdesign revolutionierte, zielt auch die generative KI-Technologie darauf ab, mehr Effizienz und kreative Möglichkeiten zu schaffen, ohne dabei den individuellen Wert zu untergraben, den jeder Designer in seine Arbeit einbringt.

Besonders spannend ist, wie sich daraus neue Rollen und damit auch Chancen für Designer entwickeln. Tatsächlich gehen fast zwei Drittel von ihnen davon aus, dass der Aufstieg von KI neue Berufsbilder hervorbringt. Dabei stehen kreative Prompt-Entwicklung und die kuratierte Nutzung von KI-Ergebnissen im Vordergrund; ergänzt um ihre traditionellen Design- und Kommunikationsfähigkeiten.

CP: Welche neuen Fähigkeiten sollten im Grafikdesign Tätige entwickeln, um die Potenziale generativer KI optimal nutzen zu können?

Patrick Llewellyn: Für die meisten Designer steht fest: Das Erlernen von Fähigkeiten im Bereich der generativen KI ist unverzichtbar. Nur zwölf Prozent halten es nicht für nötig. Wir beobachten eine große Zunahme von selbstgesteuertem Lernen in unserer Design-Community.

So maßgeblich es auch ist, sich mit neuen Tools vertraut zu machen und die Vor- und Nachteile verschiedener Plattformen und Softwares zu verstehen: Designer sollten nicht vergessen, dass Soft Skills wie Kommunikation, Kundenmanagement und die Fähigkeit, ein beeindruckendes kreatives Briefing zu erstellen, in unserer zunehmend KI-geprägten Welt wichtiger denn je sind.

CP: Werden die künstlerisch-handwerklichen Fähigkeiten sowie die Kreativität des Menschen in Zukunft überhaupt noch wichtig sein?

Patrick Llewellyn: Zweifellos. Auf 99designs betrachten wir generative KI als „Drittmaterial“. Professionelle Designer sind und bleiben unverzichtbar. Auch in Zukunft wird es großen Bedarf an dem technischen Know-how von Designern geben – und nicht nur an ihren Ideen. Selbst wenn KI all diese Fähigkeiten nachahmen könnte, bin ich davon überzeugt, dass es immer noch eine Nachfrage nach dem handwerklichen Touch sowie nach menschlichem Einfühlungsvermögen und Kreativität gibt.

CP: Wie verändert der zunehmende Einsatz generativer KI im Grafikdesign die Stilistik? Kommen hierdurch neue Ausdrucksformen und gestalterische Trends auf uns zu?

Patrick Llewellyn: Generative KI wird Trends und Designstile definitiv beeinflussen. Allerdings ist das bei allem so, was einen so entscheidenden Einfluss auf die Kultur und unser kollektives soziales Bewusstsein hat. Trends sind zyklisch und kreativ dynamisch: Sie bedienen sich an Stilen und Inspirationen der Vergangenheit und fügen neue Elemente und Schichten hinzu, um sie frisch wirken zu lassen. Angesichts der Art und Weise wie KI-Modelle trainiert werden, sehe ich nicht, dass sich das in naher Zukunft ändert.

CP: Würde, wenn Menschen sich als Reaktion auf die kalte Perfektion künstlicher Intelligenz zum Beispiel durch gezielt unperfekte Ästhetik stilistisch abzuheben versuchen, dieser Stil nicht ebenfalls von der KI einverleibt? Und wird man, anders gefragt, künftig noch von Menschen gemachte Entwürfe als solche erkennen und von KI-Entwürfen unterscheiden?

Patrick Llewellyn: Schon heute glaube ich nicht, dass es immer möglich ist, zwischen KI-generierten und menschlich erzeugten Designs zu unterscheiden. Die meisten denken jetzt bestimmt an offensichtlich KI-generierte Fotos. In der Realität geht es aber oft sehr viel subtiler zu. Insbesondere, wenn professionelle Designer am Werk sind.

Generative KI-Elemente können zum Beispiel die Erweiterung eines sich wiederholenden organischen Musters sein, das mit handgezeichneten Elementen oder Fotografien überlagert wird. Hierbei ist es praktisch unmöglich, ein KI-Design von einem traditionellen „menschlichen“ Design zu unterscheiden, wenn es gekonnt eingesetzt wird.

Letztlich geht es bei der Designentwicklung nicht vordergründig um das Wie, sondern darum, die Bedürfnisse der Marke beziehungsweise des Kunden bestmöglich zu erfüllen.

CP: Ist künstliche Intelligenz zusammenfassend gefragt eher Fluch oder Segen für das Grafikdesign?

Patrick Llewellyn: Das einzig Beständige im Leben ist der Wandel. Ob das gut oder schlecht ist, darüber zu debattieren ist müßig. Der Designbereich ist eine Branche, die sich zwangsläufig – wie übrigens jede andere auch – weiterentwickelt und transformiert. Auch wenn die mit KI verbundenen Ängste verständlich sind, hören wir von den meisten Designern, dass sie sich auf die neuen Möglichkeiten und die Zukunft des Designs freuen.

Tatsächlich sind 38 Prozent der Designer heute optimistischer gegenüber KI als noch vor zwölf Monaten. Wir erleben, wie sich Kreative anpassen, lernen und ihre Fähigkeiten weiterentwickeln, um die neuen Chancen gewinnbringend zu nutzen.

CP: Herr Llewellyn, wir danken Ihnen für die professionelle Einschätzung und die menschliche Perspektive.

Möchten Sie erfahren, wie ChatGPT zuvor auf exakt dieselben Fragen geantwortet hat? Das Interview finden Sie hier.

Weitere Informationen:
99designs Pty Ltd
www.99designs.de

 
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