Der in Mailand lebende Designer Marc Sadler im Gespräch über die Rolle des Designers gestern und heute, und den Neustart der Welt nach Pandemie.

Nach Abschluss seiner Ausbildung an der Pariser École nationale supérieure des arts décoratifs (ENSAD) im Jahre 1968 wurde Marc Sadler zum Mitbegründer der ersten Designer-Sozietät Frankreichs. Zu den Kunden zählten berühmte Marken wie Pierre Cardin und Yves Saint Laurent. Ein Skiunfall brachte ihn Anfang der 1970er Jahre auf die Idee, bessere Skistiefel zu entwickeln, wonach sich seine Zusammenarbeit mit Sportartikel-Herstellern intensivierte. 1978 gründete Sadler sein eigenes Studio in New York. Er galt damals als innovativster Sportschuh-Designer. In den 1990er Jahren kehrte Sadler nach Europa zurück, wo er sich hauptsächlich mit der Gestaltung von Leuchten, Möbeln und Retail Design befasste. Ein von Sadler kreierter Rückenprotektor für den Motorradsport ist Teil der permanenten Sammlung des New Yorker MOMA, eine von ihm designte Leuchte gehört zur Designsammlung des Centre Pompidou in Paris. Der in Österreich geborene Franzose gewann zahlreiche internationale Designpreise, darunter vier Mal den Compasso d’Oro. Heute lebt und arbeitet Marc Sadler in Mailand. Aus Anlass der Einführung seiner neuen, für das italienische Label Karman entworfenen Stehleuchte „Fireman“ gewährt er im Folgenden aufschlussreiche Einblicke in seine Arbeitsweise und sein Denken.

CP: Herr Sadler, was genau macht die neue Fireman-Leuchte besonders?

Marc Sadler: Ich glaube, dass sich in Fireman ein transversales Design ausdrückt, das festgefahrene Denkmuster verlässt. Ein Produktdesign, das verschiedene Beleuchtungsbedarfe adressiert, indem es funktionale technische Lösungen weiterentwickelt, die ihre Tauglichkeit bereits unter Beweis stellen konnten.

CP: Sie arbeiten seit vielen Jahren in der Designbranche. Was hat sich geändert, seit Sie anfingen?

Marc Sadler: Nach dem Zweiten Weltkrieg bewirkte der zivile und industrielle Neustart ein Anschwellen des Konsums. Es existierte ein vielfältiger Bedarf an Gütern, als Reaktion auf den Mangel war auch eine Menge Unnötiges dabei. Designer spornte die konstante Nachfrage an und sie waren gleichzeitig frei von den gegenwärtigen Dilemmata – Kosten, Globalisierung, Marktsättigung und dem Imperativ der Nachhaltigkeit. Vor 70 Jahren betrauten Firmenbesitzer und Manager mit großer unternehmerischer Entschlossenheit und einer gewissen Bereitschaft zum Risiko Designer noch, ohne allzu viele Fragen zu stellen. Der Erfolg gab Designern und Unternehmern recht. All das sorgte für eine Tradition, die reich ist an Akteuren und Ergebnissen.

Heute fällt die Rolle des Designers den enger gewordenen Grenzen zum Opfer, die unsere Interventionen häufig zur reinen Fassadengestaltung werden lassen. Da ist der gesättigte Markt, hier das Marketing, welches vorgibt, was zu tun ist, und schließlich der Unternehmer – oft ein gescheiterter Designer –, der alles besser weiß. Es besteht kein Zweifel, dass sich der Beruf in einer Krise befindet und neu gedacht werden muss, was nicht einfach ist, insbesondere für den Nachwuchs. Als nach dem Krieg geborener Designer befinde ich mich genau in der Mitte: Zu spät dran, um mich unter den großen Meistern einzureihen, und umgeben von einer Kollegenschaft, die meine Kinder und Enkelkinder sein könnten.

„Seit Jahren ist in Projekt-Briefings von Nachhaltigkeit die Rede. Von nun an könnte sie zur Conditio sine qua non werden. So würde sich wirklich etwas ändern – eine kopernikanische Wende.“ – Marc Sadler

CP: Wie definieren Sie gutes beziehungsweise schlechtes Design?

Marc Sadler: Ich möchte nicht arrogant klingen, doch sobald jemand irgendetwas ein Designerstück nennt, bekomme ich Ausschlag. Denn für gewöhnlich wird das Wort „Design“ mit einer ästhetischen Vorstellung verbunden, die den stilistischen Trends der jeweils vorherrschenden Mode entsprechen. Von dieser Auffassung von Design distanziere ich mich, nicht vom Design an sich, das meiner Meinung nach soviel mehr umfasst. Das gesagt habend, liebe ich viele Objekte und Möbel aus der Vergangenheit, so wie ich auch vieles von dem mag, was ich heute sehe. Für mich ist es die Kultur hinter einem Projekt, durch die sich qualitativ hochwertiges Design von schlechtem Design unterscheidet. Stilismus und Ästhetizismus sind wichtige Qualitäten, sofern sie mit einem gut gestalteten Industrieprodukt verknüpft werden, das seinen Zweck erfüllt. Das ist es, was ich unter gutem Design verstehe, selbst wenn der Weg dorthin nicht immer von Erfolg gekrönt wird.

CP: Welchen Aspekt Ihrer Arbeit schätzen Sie am meisten?

Marc Sadler: Was die letzten 40 Jahre betrifft, darf ich mich rühmen, in den verschiedensten Feldern ausgiebige Erfahrungen und Spezialkenntnisse gesammelt zu haben. Als die Designbranche in voller Blüte stand und Design eine auf die Industrieproduktion angewandte Poesie darstellte, war der Designer im Ausdruck relativ frei. Die kommerzielle Logik und die Marketingvorgaben waren nicht so streng wie heute. Kluge Unternehmer mit Mut zum Risiko folgten ihrer Intuition, ließen sich bereitwillig auf Neues ein und vertrauten der Expertise des Designers. Unsere Chancen, in den kreativen Entstehungsprozess von Industrieprodukten einzugreifen, sind heutzutage begrenzt. Trotzdem braucht man uns noch, um Unternehmen angemessene Antworten zu liefern. Nach all den Jahren treibt mich das noch immer an.

CP: Mit welchen Materialien arbeiten Sie am liebsten?

Marc Sadler: Als junger Student war ich so stark von der Welt der Polymere gefesselt, dass ich mich entschied, sie 1968 zum Thema meiner Abschlussarbeit zu machen. Heutzutage kann man gar nicht mehr über Plastik sprechen, wegen seiner Wirkung auf die Umwelt. Aber Gegenstände aus Kunststoff sind Teil unseres täglichen Lebens – mit unbestreitbaren Vorteilen und Nutzen. Trotzdem habe ich kein Lieblingsmaterial. Im Laufe meiner Karriere habe ich zahlreiche unterschiedliche Werkstoffe kennengelernt und verwendet. Manche sehen darin einen Vorteil, andere einen Ballast. Man bezeichnet mich als einen Design-Ingenieur und oftmals suchen diejenigen, die sich an mich wenden, einen Designer, mit dem man sich im Detail über technische Aspekte unterhalten kann.

Die von Marc Sadler für Karman entworfene Fireman-Leuchte eifert Feuerleitern nach und lässt sich bis auf eine altbautaugliche Höhe von 320 Zentimetern Auseinanderziehen.

CP: Was bedeutet Nachhaltigkeit für Ihr Design?

Marc Sadler: Der weit verbreitete Sinn für die Fragilität, der mit Covid Einzug hielt, hat unsere Wahrnehmung und unsere Prioritätensetzung verändert. Ich hoffe sehr, dass das zu einem größeren Verantwortungsgefühl gegenüber unserem Planeten und durchdachteren persönlichen Entscheidungen und Handlungsweisen führt. Die Rolle des Designers muss zwangsläufig den neuen gesellschaftlichen Bedürfnissen folgen. Seit Jahren ist in Projekt-Briefings von Nachhaltigkeit die Rede. Von nun an könnte sie zur Conditio sine qua non werden. So würde sich wirklich etwas ändern – eine kopernikanische Wende. Sie zu erreichen ist schwierig, die Sache duldet jedoch keinen weiteren Aufschub.

CP: Haben Sie eine festgelegte tägliche Routine?

Marc Sadler: Vor Covid reiste ich viel. Hoffentlich kann ich bald damit weitermachen. Videokonferenzen sind nützlich, können den physischen Kontakt mit Unternehmen und Arbeitsgruppen allerdings nicht ersetzen. Das ist für mich ein wesentlicher Punkt: Das Zusammentreffen mit Menschen lässt mich Stärken, Schwächen, Erwartungen und so weiter schnell verstehen. Das sind Details, die ansonsten schwer zu erfassen sind – einhergehend mit der Gefahr des Missverständnisses. Heute verbringe ich die meiste Zeit in meinem Studio in Mailand, gelegen in einem früheren Industriekomplex, der begrünt und in Wohn- und Ausstellungsflächen umgewandelt worden ist. Ich schätze mich glücklich, ein Haus inmitten von Bäumen zu haben – und ein Studio in fußläufiger Entfernung. Zu Hause bleiben zu müssen, stimuliert meine Kreativität. Der intensive Gebrauch von Möbeln, Haushaltsgeräten und Werkzeugen machte aus mir einen kritischeren Tester von Dingen, die ich gekauft oder sogar gestaltet habe. Eine großartige Erfahrung!

CP: Was wären Sie, wenn Sie sich nicht mit Design beschäftigen würden?

Marc Sadler: Ich träumte einst davon, Chirurg zu werden. Aber ich muss zugeben, dass ich schon als Kind leidenschaftlich gern zeichnete. Mein heutiges Leben ist also die logische Konsequenz.

CP: Welchen Rat würden Sie Menschen geben, die mit dem Gedanken spielen, Design zu studieren?

Marc Sadler: Lernen, lernen, lernen! Lerne alles über die Designgeschichte, die großen Designer der Vergangenheit und Gegenwart und die Gründe für ihre Bedeutung. Kenne die industriellen und handwerklichen Techniken und bleibe stets neugierig. Alles ist Design – vom Stuhl über den Pflug bis hin zur künstlichen Herzklappe. Die Möglichkeiten, schöne, funktionale und in ökologischer und ökonomischer Hinsicht nachhaltige Objekte zu schaffen, sind grenzenlos. Viele unserer heutigen Produkte sind vor diesem Hintergrund obsolet und Designschaffende müssen künftig in der Lage sein, neue Antworten zu formulieren, ohne zu vergessen, was zuvor geleistet wurde.

CP: Herr Sadler, wir danken Ihnen für das Interview.

Originalsprache des Interviews: Englisch. Die Übersetzung stammt von Michael Graef.

Weitere Informationen:
Marc Sadler
www.marcsadler.it

Karman Srl
www.karmanitalia.it

 
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