Mit dem Nachzeichnen von Comics aus Zeitungen fing alles an. Aus dem Hobby eines kleinen Jungen entstand ein mächtiger Medienkonzern. Rückblick auf 100 Jahre Disney. Foto: © Disney

100 Jahre Disney – wen lässt das unberührt? Wir jedenfalls geben zu: die Entenhausener Charaktere haben uns ein Stück weit geprägt. Mag sogar sein, dass es dieses Journal ohne sie nie gegeben hätte. Sie glauben das nicht? Nun, immerhin verdanken wir Donald Duck die Einsicht, dass es im Leben darauf ankommt, sich stets einmal öfter aufzurappeln, als man hinfällt. Minnie Maus inspirierte uns in Sachen Stilsicherheit und dank Micky Maus wissen wir, dass man sich mit Klugheit und Vernunft zwar nicht überall Freunde macht, dass jedoch ohne klare Haltung und Verantwortungsbewusstsein ein gedeihliches Zusammenleben auf Dauer nicht möglich ist. Onkel Dagobert wiederum vermittelte uns den Wert des Geldes, Goofy bewies uns andererseits, dass wahre, treue Freundschaft nicht mit allem Gold aus dem Duckschen Geldspeicher aufzuwiegen ist …

Disney als Qualitätsbezeichnung – und als Teil unseres kulturellen Gedächtnisses

100 Jahre Disney – das ist freilich sehr viel mehr als die fiktive Comic-Großstadt, in der meist Schweine als Bürgermeister das Sagen haben – so als handele es sich um eine Anspielung auf George Orwells „Animal Farm“. Da sind zum einen Disneyland und seine Ableger in aller Welt und zum anderen ein Universum feinster Trickfilme. Vor allen Dingen aber stehen 100 Jahre Disney für an Besessenheit grenzenden Perfektionismus, der Myriaden von originellen Einfällen in mühelos wirkende Kunstwerke verwandelte, ohne die unser Leben deutlich ärmer und trister wäre. Durch sie wurde der Beweis erbracht, dass gute und erfolgreiche Unterhaltung Gewalt, Vulgarität und Zynismus nicht nötig hat.


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„Oswald the Lucky Rabbit“, der Vorgänger von Micky Maus, kehrt zur Feier von 100 Jahren Disney erstmals nach fast 95 Jahren in einem neuen Animationsfilm zurück. Foto: © Disney

100 Jahre Disney – das ist auch eine Erfolgsgeschichte im Hinblick auf Brand Design, die ihresgleichen sucht. Der Disney-Schriftzug und die drei sich überlappenden schwarzen Kreise der Micky-Maus-Silhouette zählen zu den bekanntesten (Marken-)Zeichen aller Zeiten. Sie sind uns vertraut wie die US-Flagge oder der Coca-Cola-Schriftzug und gehören überdies zu einem Arsenal an Ausdrucksformen, mit denen sich kulturelle Vorstellungen und Ideen unauflösbar verbinden. Man denke insbesondere an den Einfluss des Disney-Universums auf die Bildung des bundesdeutschen Nachkriegsbewusstseins. Neben Nietenhose und Kaugummi eroberte Micky Maus mithilfe der nach ihr benannten Comic-Zeitschrift als eine Art Kulturbotschafter ab 1951 – ähnlich wie wenig später Elvis Presley – die eben erst gegründete Bundesrepublik.


 
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100 Jahre Disney: Mit kopierten Comics fing alles an

Dass in der Unterhaltungsbranche „Mäuse“ stecken, fiel dem mit insgesamt 26 Academy Awards ausgezeichneten Walter Elias (genannt „Walt“) Disney bereits im Teenager-Alter auf, als er sich den einen oder anderen Dollar mit kleinen Kabarett-Auftritten verdiente. Das Interesse am Zeichnen entwickelte er noch wesentlich früher. Anfänglich übte er, indem er Comics aus Zeitungen kopierte, und besuchte Kurse. Nach seiner Zeit als freiwilliger Krankenwagenfahrer für das Rote Kreuz im Ersten Weltkrieg begann er 1919 damit, in Kansas City als Illustrator zu arbeiten. Alsbald entdeckte er die Animation und unternahm 1920 gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Ub Iwerks, der Jahre später den ersten Micky-Maus-Trickfilm zeichnete, einen frühen Versuch, sich selbstständig zu machen.

Als eigentliches Geburtsjahr der Walt Disney Company gilt 1923. Disney hatte dem für ihn finanziell wenig ertragreichen Missouri den Rücken gekehrt und sich im aufstrebenden Los Angeles angesiedelt, wo er mit der Filmreihe „Alice Comedies“ reüssierte und 1927 für die Universal Studios die Serie „Oswald the Lucky Rabbit“ produzierte. Wie damals üblich lagen die Rechte an dem lustigen Hasen bei Disneys Auftraggebern. Das führte dazu, dass ihm sein Protagonist im folgenden Jahr abhanden kam.

Die berühmteste Maus der Welt – ein falscher Hase?

Was tun, wenn man die Kontrolle über einen Hasen verliert, der goldene Eier legt? Richtig: Man verkürzt die Ohren und mutiert ihn zur Maus. (Zumindest zu Anfang sah Oswalds Nachfolger fast wie sein Zwillingsbruder aus.) Im Nachhinein erwies sich Disneys Verlust als einer der größten Glücksfälle der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte. Mit Micky Maus (englisch Mickey Mouse), der ursprünglich Mortimer heißen sollte, schuf er 1928 eine kulturelle Ikone, die bis heute nahezu alles in den Schatten stellt, was auf zwei oder mehr Beinen über Leinwände beziehungsweise T-Shirts oder andere Merchandising-Artikel läuft.

Diesem Lächeln vertraut die Welt: Micky, hier fein gemacht für die Feierlichkeiten, darf bei 100 Jahre Disney auf gar keinen Fall fehlen. Foto: © Disney

Die riesige Markmacht von Micky Maus zeigte sich unmittelbar nach seinen ersten Auftritten, als beispielsweise die Lizensierung für die Zifferblätter einer in schwieriges Fahrwasser geratenen Uhrenmarke einen aufsehenerregenden Erfolg bescherte. Micky und seine kurz nach ihm zum Leben erweckten tierischen Freunde – allen voran Donald Duck – machten die Disney Studios zur wie geölt laufenden Geldmaschine.

Auf Zeichentrickwelt folgt „reale Kunstwelt“

Der Zweite Weltkrieg verursachte wegen des Wegbrechens des europäischen Marktes allerdings erneut finanzielle Probleme. Zudem verschob sich der Fokus. Hatte Disney zuvor filmgeschichtliche Meilensteine wie „Snow White and the Seven Dwarfs“ produziert und dem Volk in der Zeit der Great Depression geholfen, für kurze Zeit den tristen Alltag zu vergessen, warb man jetzt für Kriegsanleihen oder drehte gegen das Dritte Reich gerichtete politische Filme. In einem von ihnen („Der Fuehrer’s Face“ von 1943) wird Donald Duck zum Arbeiter in einer deutschen Munitionsfabrik. Sein trost- und hoffnungsloses Leben erweist sich glücklicherweise als Albtraum; zum Schluss wacht er in seinem Bett in den USA auf.

Von einem glücklichen Wiedererwachen der Disney Studios aus dem Dornröschenschlaf konnte man 1950 sprechen. Als erster abendfüllender Zeichentrickfilm seit acht Jahren spielte Cinderella viele Millionen ein. Parallel dazu hatte man das Fach gewechselt und erste Erfolge mit Natur-Dokumentarfilmen erzielt. Walt Disney selbst träumte hingegen von ganz etwas anderem. Nach der imaginären Welt seiner Filme wollte er nun eine begehbare erschaffen. Inspiriert von Kopenhagens Tivoli entstand zwischen 1952 und 1955 in Anaheim bei Los Angeles mit Disneyland als dem „Happiest Place on Earth“ ein internationaler Benchmark für Freizeit- respektive Themenparks.

Disney als globaler Medienkonzern

Während der 1966 verstorbene Walt Disney das Fernsehen genutzt hatte, um den Bau von Disneyland zu finanzieren, ist aus seinem Unternehmen inzwischen ein breit aufgestellter Medienkonzern mit eigener Streaming-Plattform geworden, dessen Umsatz – er betrug 2022 über 10 Dollar pro Erdenbürger – nicht zuletzt aufgrund von Zukäufen zunehmend schnell steigt. So hat sich das Imperium der guten Laune etwa mit Lucasfilm („Star Wars“) und Marvel („Spider Man“) zwei nicht wegzudenkende Marken der Unterhaltungsindustrie einverleibt. Demgegenüber drücken Schulden und Verbindlichkeiten in Höhe von von mehr als 100 Milliarden Dollar – und die Konkurrenz nimmt ebenfalls zu.

Märchenschlösser ja, aber keine Luftschlösser. Vor allen Dingen lebt man bei Disney nicht im luftleeren Raum, sondern stellt sich auch politischen Themen, wie sich aktuell wieder einmal zeigt. Foto: © Disney

Zusätzlicher Druck kommt mittlerweile noch aus einer anderen Richtung. Konservativen politischen Kräften in den USA, die auf das Weiße Haus schielen und an einer Rückabwicklung von Teilen der Aufklärung interessiert sind, missfällt, dass man sich bei Disney für Pluralismus und die Rechte von Minderheiten stark macht. Womit wir wieder bei der Eingangsthese wären. Geld ist nicht alles, es kommt auch auf Haltung und Verlässlichkeit an. Wer immer nur wegschaut, findet sich nämlich unter Umständen eines Tages in einer wahr gewordenen Dystopie à la Orwell statt in einer netten Fantasiewelt wieder.

Weitere Informationen:
The Walt Disney Company
www.disney.de

Bildhinweis:
Unser Titelbild zeigt das spezielle Logo zum Jubiläum „100 Jahre Disney“. © Disney

 
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