Die von Jean-Léon Reutter erfundene Atmos ist eine sehr besondere Uhr. Sie läuft ohne Aufzugmechanismus oder eine andere konventionelle Energiequelle – allein durch Temperaturschwankungen.

Eine Maschine, die ihre Energie aus sich selbst schöpfen und so ewig laufen kann – diesem alten Menschheitstraum kam Jean-Léon Reutter 1928 so nahe wie niemand vor ihm. Dem aus Neuenburg stammenden Ingenieur gelang die Erfindung einer sogenannten atmosphärischen Tischuhr, die ohne Aufzugmechanismus oder irgendeine andere konventionelle Energiequelle auskam. Seine „Atmos 0“ weckte alsbald das Interesse von Jacques-David LeCoultre. Der Generaldirektor der weltbekannten Schweizer Manufaktur, die seit 1930 den Namen Jaeger-LeCoultre trägt, erkannte allerdings, dass der Mechanismus noch Probleme aufwies. Gemeinsam mit Reutter arbeitete er fortan an der Perfektionierung der Lösung. Kurze Zeit später begann die Vermarktung der Atmos I. 1939 folgte die Atmos II, deren Kaliber 519 nochmals robuster ausfiel. 1950 dann erfuhr die Atmos eine Nobilitierung, indem man sie zum offiziellen Geschenk der Schweizer Regierung machte.

Eine Frage der Energie: Wie funktioniert die Jaeger-LeCoultre Atmos?

In den 1980er-Jahren überwand man mit dem Kaliber 540 schließlich eine energetische Hürde, die zuvor die Integration zusätzlicher Komplikationen wie Mondphase oder Himmelskarte verhindert hatte. Anders ausgedrückt: Konstruktionsbedingt steht nur wenig Energie für das Uhrwerk zur Verfügung. Wie der Name andeutet, nutzt die Atmos als eine atmosphärische Uhr normale, tägliche Temperaturschwankungen in der Umgebung einer im Inneren befindlichen Druckdose. War diese zunächst durch Reutter mit Quecksilber gefüllt worden, wich man bei Jaeger-LeCoultre auf das besser geeignete Ethylchlorid aus. In beiden Fällen ist die Funktionsweise dieselbe. Eine temperaturbedingte Volumenänderung – einem Blasebalg optisch nicht unähnlich – wird in Bewegung übersetzt. Um die Atmos mit Energie für zwei Tage zu versorgen, genügt schon ein Unterschied von einem Grad Celsius Raumtemperatur.

Das Innenleben der Atmos: Gut zu erkennen ist rechts die Druckdose, deren temperaturabhängige Volumenänderung die Mechanik antreibt. © Jaeger-LeCoultre

Wenn man so will, nimmt die Atmos auf mechanische Weise das immer wichtiger werdende, als Energy Harvesting bezeichnete Prinzip vorweg, Wärme oder andere Energieformen lokal für das Betreiben kleinster elektronischer Bauteile beispielsweise in produktionstechnischen Anlagen anzuzapfen und in elektrische Energie umzuwandeln. Ein Perpetuum mobile ist die Atmos hingegen offensichtlich nicht. Eine bereits Mitte des 18. Jahrhunderts konstruierte atmosphärische Uhr wurde seinerzeit fälschlich als solches deklariert. Überflüssig zu erwähnen, dass die uns bekannten Gesetze der Physik dem Bau eines echten Perpetuum mobiles grundsätzlich im Weg stehen.

Fazit: Ein wahrhaft nachhaltiges Investment

Äußerst bemerkenswert ist die Atmos dennoch. Sie ist heute vielleicht sogar zeitgemäßer denn je. Nicht aufgrund ihrer Genauigkeit – diese ist für eine mechanische Uhr gut, aber mit einer Abweichung von drei bis vier Dutzend Sekunden pro Monat modernen Funkuhren klar unterlegen. Der Grund ist ebenso wenig die stilistische Auffrischung, für die man zuletzt in Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Produktgestaltern gesorgt hat; das ist reine Geschmacksache. Viel entscheidender ist die Vorbildfunktion der Tischuhr in Bezug auf das steigende Bewusstsein für Nachhaltigkeit und die wachsende Wertschätzung langlebiger Dinge. Wartungsintervalle von mehreren Jahrzehnten und eine prognostizierte Lebensdauer von mehreren Jahrhunderten machen die Atmos zu einem wahrhaft nachhaltigen Investment. Wenn das kein Design für die Ewigkeit ist …

Weitere Informationen:
Jaeger-LeCoultre
www.jaeger-lecoultre.com

Bildhinweis:
Unser Titelbild zeigt die Modellversion Atmos Transparente. Für alle Fotos gilt: © Giorgia Masella / Diode Studio

 
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