Schwarz-Weiß-Malerei ist eigentlich unsere Sache nicht. Dass wir uns nach dem Gedankenexperiment rund um das Schachspiel erneut einem Ding annehmen, das wesentlich durch schwarze und weiße Elemente charakterisiert wird, ist daher Zufall. Im Vordergrund steht bei der Beschäftigung mit Klavier und Klaviatur beziehungsweise der Manufaktur Fazioli die Frage, wie sich verbessern lässt, was vermeintlich längst seine Vollendung erfahren hat.
Harmonie aus Vielfalt: Das Klavier ist die ideale Metapher für ein gedeihliches Miteinander trotz oder gerade wegen Verschiedenheit. Sogar für das ersehnte furcht- und gewaltlose Zusammenleben der Menschheit insgesamt können die in der Regel 88 Tasten der Klaviatur sinnbildlich stehen. Als Erkenntnis ist das nicht neu. So wählte Sir Paul McCartney für sein gegen Vorurteile und Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe gerichtetes Duett mit Stevie Wonder aus dem Jahre 1982 das Bild der schwarzen und weißen Tasten – „Ebony and Ivory“.
Ist aber, wenn die zivilisatorische Entwicklung schon alles andere als abgeschlossen erscheint, zumindest die technische Evolution des Klaviers an ihrem Endpunkt angelangt? Ganz offensichtlich nicht, wie das Beispiel des italienischen Klavierbauers Fazioli zeigt.
Revolution oder Evolution?
Seit jeher ist das Ungenügen an der Gegenwart der Stoff, aus dem Fortschritt entsteht. Das muss nicht immer zu revolutionär neuen Erscheinungsformen führen, die sich einer morphologischen Herleitung aus Vorformen widersetzen, so wie das bei Supersportwagen im Verhältnis zu Pferdekutschen der Fall ist. Wie überhaupt sollte das beim Klavier, dessen Bauform sich so sehr bewährt hat, Sinn ergeben und aussehen? Wäre eine halbkreisförmige Anordnung um den Spielenden herum eine erstrebenswerte Verbesserung?
Anfang des Jahrhunderts konnte man just diese Idee in Werbeanzeigen von Rado finden [1]. Mit ihnen wollte die Schweizer Uhrenmarke der eigenen Beschäftigung mit ungewöhnlichen Formen Ausdruck verleihen. Ein Musikvideo des japanischen DJs Towa Tei stellte wiederum 1995 eine noch ungewöhnlichere Variante vor: eine radial um einen Plattenteller angeordnete Klaviatur [2]. Natürlich ebenfalls lediglich eine Kuriosität respektive gedankliche Spielerei.
Nichts ist unmöglich
Wenn man sich stattdessen darauf einigt, dass die Anordnung der Tasten und die generelle Funktionsweise des Saiten-, Schlag- und Tasteninstruments – das Klavier ist alles drei zugleich – unübertroffen ist, bedeutet das trotzdem nicht, dass graduelle Verbesserungen unmöglich sind.
Hiervon war auch Paolo Fazioli überzeugt, ein aus Rom stammender Pianist und Ingenieur, der 1981 eine eigene Klaviermanufaktur gründete. Es gelang ihm mithilfe gezielter punktueller Weiterentwicklungen, seine Erzeugnisse so gut klingen zu lassen, dass sich schnell eine Fangemeinde bildete, zu der zahlreiche Stars wie beispielsweise die Jazz-Legende Herbie Hancock zählen. Ebenso Newcomer wie Bruce Liu, der 2021 beim international überaus bedeutenden Warschauer Chopin-Wettbewerb triumphierte.
David gegen Goliath
Wer den Contest verfolgt hat, konnte beobachten, wie zwischen den Auftritten laufend Flügel verschiedener Manufakturen hinein- und wieder hinausgerollt wurden. Acht der Teilnehmenden – immerhin rund zehn Prozent – spielten auf einem Fazioli [3]. Die totale Dominanz des Hauses Steinway & Sons beginnt zu bröckeln.
Dabei war es keineswegs selbstverständlich, dass sich sozusagen der David gegen den Goliath unter den Klavierherstellern, der heute noch mehr als 90 Prozent der Konzertbühnen beherrscht, behauptete. Das Magazin brand eins zeichnete vor einigen Jahren nach, welche Widerstände die Italiener überwinden mussten, um Fuß zu fassen [4]. Dazu gehörte offenbar das Ausüben von Druck auf Klavierschulen, neben Steinway-Flügeln keine Konkurrenzprodukte anzuschaffen. Was strategisch gesehen einleuchtet. Hier entwickeln junge Menschen klangliche Vorlieben und – möglicherweise – lebenslange Markenpräferenzen.
Monopole töten den Fortschritt
Unfaire Tricks von Quasimonopolisten schaden nicht bloß Mitbewerbern, sondern allen, indem sie – unabhängig von der Branche – die Realisierung besserer Produkte verhindern. Womit es Zeit wird für die Beantwortung der Frage, was Klaviere von Fazioli besonders macht. Angesichts des gesteckten Rahmens soll eine kursorische Betrachtung genügen.
Auf den ersten Blick fast nur anhand des matt lackierten Deckels und des auffallend weißen Schriftzugs unterscheidbar, musste man nicht über das absolute Gehör verfügen, um beim bereits erwähnten letzten Chopin-Wettbewerb klangliche Unterschiede zwischen den Fazioli-Flügeln und den Modellen des Marktführers wahrzunehmen, die nichts mit den individuell verschiedenen Spielweisen zu tun hatten.
Stradivari mit Tasten?
Der typische Fazioli-Klang wirkt heller, manche beschreiben ihn als glockenartig. Das Spiel mutet eine Nuance präziser an, der Nachhall ausdauernder. Wofür es gute mechanische Gründe gibt. Aus einer im Holz- und Möbelbau engagierten Familie stammend, nahm sich Paolo Fazioli intensiv der konstruktiven Seite des Klaviers an und strebte sowohl beim Aufbau als auch beim Material und der Mechanik nach besseren als den bisherigen Lösungen.
Man könnte meinen, dass das Geheimnis von Fazioli in der Wahl des Materials liegt. Das Fichtenholz für die Resonanzböden der Marke kommt aus demselben Wald, aus dem sich vor rund 350 Jahren Antonio Stradivari für seine beinahe mythisch verehrten Violinen bedient hat. Doch genauso ließe sich der Grund für den Wohlklang in der Klaviatur vermuten. Die patentierte Weiterentwicklung der Mechanik der Tasten ermöglicht einen Anschlag, der einerseits als ausnehmend leicht und unerreicht kontrolliert gilt – mit sehr exaktem Feedback.
Adagio statt Presto
Nicht weniger Sorgfalt lässt Fazioli bei Details wie dem inneren gusseisernen Rahmen walten, der die Saitenspannung aufnimmt. Dass dieser vor der ersten Benutzung über ein halbes Jahr ruhen soll, deutet auf etwas hin, das wohl am entscheidendsten ist: der Faktor Zeit.
Die Produktion bei Fazioli ist quasi maximal entschleunigt. Oder in der Sprache der Musik: Hier dominiert Adagio und kein Presto. Denkbar weit von einer durch Stoppuhren kontrollierten Fließbandfertigung entfernt, verlässt die Manufaktur eine äußerst begrenzte Zahl von Flügeln. Ein Wachstum über eine Jahresproduktion von 200 Stück hinaus wird nicht angestrebt, obwohl der Markt mit Sicherheit weitaus aufnahmefähiger ist. Ansonsten würde nämlich nach Auffassung des Unternehmensgründers die Qualität leiden. Paolo Fazioli selbst ist einer der Gründe für die Verknappung, denn er lässt es sich nicht nehmen, die Feinabstimmung persönlich zu leiten.
Die Moral von der Geschichte
Am Beispiel Fazioli lassen sich wunderbar die Möglichkeiten zeigen, die die „Klaviatur des Designs“ gestalterisch Tätigen bietet – egal für welchen Lebensbereich sie forschen und tüfteln. Grundprinzipien, Materialauswahl, Formgebung, Verarbeitungsqualität und Qualitätskontrolle: jeder dieser Aspekte allein eröffnet viele Chancen, Bekanntes besser zu machen und Alleinstellungsmerkmale zu erzielen. In Kombination eröffnen sich schier unendliche Potenziale. Und noch eines wird deutlich: Die Verbindung traditioneller Handwerkskunst und Akribie – um nicht zu sagen Besessenheit – mit modernen Methoden kann unschlagbare Ergebnisse zeitigen.
Einen ähnlichen Aufwand zu treiben wie Fazioli ist freilich eine Kostenfrage. Daran schließt sich die Frage nach dem Markt an. Gibt es eine ausreichend große Zielgruppe, die bereit ist, für eine einzigartige Erfahrung tiefer in die Tasche zu greifen? Man wird in vielen Fällen davon ausgehen dürfen. Das Bedürfnis, außergewöhnliche Dinge zu besitzen, ist beim Menschen wenigstens so stark ausgeprägt wie der oftmals unbewusste Wunsch, sich konformistisch zu verhalten.
Weitere Informationen:
Fazioli Pianoforti s.p.a.
www.fazioli.com
Quellen:
[1] https://brand-history.com/rado-watch-co-ltd/rado-switzerland/rado-rado-sujet-piano
[2] https://www.youtube.com/watch?v=sq66jYoFx_c
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/XVIII_International_Chopin_Piano_Competition
[4] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2017/strategie/fluegelkampf