Ohne das Bauhaus zu begreifen, bleibt das Verständnis vieler späterer Entwicklungen unvollständig. Das Bauhaus-Jubiläum bietet dafür eine gute Gelegenheit.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Im Zusammenhang mit dem Bauhaus-Jubiläum bewahrheitet sich der Satz einmal mehr. Hype droht abzulenken von dem, was vor hundert Jahren tatsächlich war. Der Erinnerungs-Goldrausch lockt indes auch jene an, die entgegengesetzt vorgehen, die in ähnlich zweifelhafter Weise banalisieren oder gar versuchen, zentrale Akteure vom Sockel zu stoßen.

Glänzende Karriere

Rechtzeitig erschienen, um vom Bauhaus-Jubiläum zu profitieren, beleuchtet beispielsweise „Walter Gropius: Der Architekt seines Ruhms“ – das neue Buch des Designhistorikers Bernd Polster – den Werdegang des Bauhaus-Gründers, der sich als Studienabbrecher sein gutes Aussehen und seine Redegewandtheit gezielt zu Nutze gemacht hat.

Hier schon ließe sich einwenden, dass sich Walter Gropius hinsichtlich des Zustandekommens seiner glänzenden Karriere kaum von Millionen seiner Artgenossen unterscheidet, die vor ihm, nach ihm oder zeitgleich mit ihm in ebenfalls legitimer Weise ihre Talente in die große Waagschale der Geschichte geworfen haben …

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Doch es kommt noch schlimmer: Da Gropius nicht zeichnen konnte, so die Argumentation, basiere sein Erfolg auf den Fähigkeiten seiner Mitarbeiter. Geflissentlich wird dabei übersehen, dass wir nicht erst seit der Industrialisierung in einer arbeitsteiligen Welt leben, in der der Erfolg des Individuums von der Gruppe abhängt.

Das bloße Aufwärmen von Fakten, die jeder auf Wikipedia nachlesen kann, macht kein großes (Enthüllungs-)Buch. Lässt man die Scheinargumente weg, ergibt sich ein gegenteiliges Bild: Gropius reiht sich ein in die Liste großer Namen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, sich bietende Chancen und Talente erkannten und für die Verwirklichung von Bahnbrechendem nutzen konnten. Hier sei lediglich auf einen gewissen Steve Jobs verwiesen, dessen Besuch im Xerox-Forschungszentrum PARC zu den folgenreichsten Ereignissen der Technikgeschichte zählt.

Bedeutung liegt im Gebrauch

Von Steve Jobs ist es kein weiter Sprung zu Jonathan Ive. Wie wohl wäre seine Karriere verlaufen, hätte es die in Weimar und Dessau begründeten gestalterischen Ansätze nie gegeben? Jahrzehnte danach bildeten sie, tradiert über Designer wie Dieter Rams, einen der wesentlichen Einflussfaktoren für die von ihm gestalteten Produkte – für Apple und darüber hinaus. Oder Jil Sander: ihre Mode wäre ohne die Bauhaus-Ästhetik quasi undenkbar; die legendäre deutsche Designerin begriff ihre Kreationen als darin begründet.

Nur zwei Beispiele, die zeigen, wie stark bis heute lebende Designer und Künstler die Impulse aus der Vergangenheit aufnehmen und wieder lebendig machen. Genau darin – im Gebrauch – drückt sich letztlich das Wesen von wahrer Bedeutung aus, die ausschließlich relativ und niemals als etwas Absolutes existiert.

Kritik am Primat des Funktionalismus

Affirmation ist nicht die einzige Form, in der das geschieht. Manchmal zeigt sich ein großer Einfluss im Vermögen, starke Gegenreaktionen zu provozieren. Die Designgruppe Memphis ist – wie ihre Vorgängerbewegung Alchimia – ein gutes Beispiel dafür. Bei beiden ist es die Kritik am Primat des Funktionalismus sowie am oftmals spröden Charme entsprechender Produkte. Sie brachte Designer wie Ettore Sottsass dazu, das Pendel in die entgegengesetzte Richtung einer phantasievollen Formensprache schwingen zu lassen.

Allerdings mit der Gefahr, die Bedingung der Zweckdienlichkeit aufzugeben und Kunst um der Kunst Willen zu betreiben. Was natürlich gegenläufig ist zu der von Walter Gropius in seinem Bauhaus-Manifest dargelegten Maxime, die den Künstler als eine Steigerung des Handwerkers verstand, aus dessen Hand „Gnade des Himmels (…) in seltenen Lichtmomenten“ Kunst erblüht – als „Grundlage des Werkmäßigen“.

Soziale Frage

Gegenüber der Kunst, die als völlig frei gilt – eine These, die durchaus diskussionswürdig ist – besitzt das Design stets eine dienende, von Verantwortung geprägte Rolle. Die kann zum Beispiel in der Benutzerfreundlichkeit gründen, in der Nachhaltigkeit des fertigen Produktes beziehungsweise des Herstellungsprozesses oder in der Zugänglichkeit im soziologischen Sinn.

Im Bauhaus-Kontext findet man die letztgenannte Dimension besonders in der Auseinandersetzung mit dem Bauen. Zu Recht wurde kritisiert, dass entsprechende architektonische Konzepte seinerzeit große Exklusivität besaßen und den Adressatenkreis äußerst überschaubar machten. Gut nachvollziehbar wird das bei den Bauhaus-Meisterhäusern, die eher Villen glichen. Wobei die Baukosten ohnehin grundsätzlich höher waren als für traditionelles Bauen; praktisch jede technologische Innovation hat zu Beginn damit zu kämpfen.

Pervertierte Idee

Der spätere Plattenbau pervertierte die am Bauhaus entwickelten Ideen, ohne sie im Kern zu widerlegen. Einzig auf den Teilaspekt der potenziell kostengünstig darstellbaren Einfachheit abhebend, deckte sie den drängenden Bedarf nach Wohnraum um den Preis des unwürdigen Zusammenpferchens, während die in Weimar und Dessau ersonnenen Architekturprinzipien erst frei von bedrückender Monotonie und Enge zur zukunftsweisenden Blaupause werden.

Zum vollständigen Bild gehört, dass mit dem Wechsel an der Spitze im Jahre 1928 die Ausrichtung des Bauhauses eine umfassende Überarbeitung erfuhr. Auf das unter Walter Gropius gültige Motto „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ folgte in Hannes Meyers Amtszeit das Prinzip „Volksbedarf statt Luxusbedarf“. Im Sinne des Bauhaus-Stils weniger glamourös, ließ Meyer bei den Laubenganghäusern unter anderem aus preiswerten Ziegeln bauen.

Bauhaus-Jubiläum als Chance

Bereits die wenigen Streiflichter lassen die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas Bauhaus erahnen. Hier bietet sich viel Raum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, heißt eine andere Spruchweisheit. Nicht Schweigen, sondern Zeigen ist hingegen angesagt, wenn es um den kulturellen Schatz geht, den das Bauhaus bereithält. Mit der nötigen Nüchternheit und Differenzierung, jedoch nicht auf Kosten der Begeisterungsfähigkeit für die ursprüngliche, alsbald von den Nationalsozialisten zerstörte Aufbruchstimmung, lässt sich dieser bergen. Das Bauhaus-Jubiläum ist hierfür eine gute Gelegenheit.

Ein lohnenswertes Projekt ist die Beschäftigung mit dem Bauhaus allein deshalb, da das Verständnis vieler nachfolgender Entwicklungen ansonsten unvollständig bleiben müsste. Eine zum Bauhaus-Jubiläum neu veröffentlichte und kommentierte Faksimile-Ausgabe der von Walter Gropius und László Moholy-Nagy herausgegebenen Zeitschrift bauhaus und Nachdrucke von ausgewählten Bänden der Bauhausbücher eignen sich als Ausgangspunkte für die persönliche Entdeckungsreise. Erwähnenswert sind außerdem Neuerscheinungen, die sich mit der Bauhauslehre im Detail befassen und einen willkommenen Kontrast bilden zu Überhöhungen auf der einen oder Bemühungen in Sachen Denkmalsturz auf der anderen Seite.

> Zum Bauhaus-Special …

 
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