Mit Ralf Koyro von der Dortmunder Digitalagentur Orö sprachen wir über zeitgemäßes Branding und Aspekte wie One Voice Policy und Corporate Behaviour.

Wofür eine Marke steht und was sie von anderen unterscheidet, bestimmt – Social Media sei Dank – heute mehr denn je die Öffentlichkeit. Im schlimmsten Fall bekommt ein Unternehmen im Netz die Quittung, falls es mit dem Storyliving weniger gut klappt, als es das Storytelling glauben machen will. Zugespitzt lässt sich daher sagen: Marken gehören nicht länger den Inhabern der Markenrechte, wenngleich nicht im juristischen Sinne. Dementsprechend reicht es für zeitgemäßes Branding nicht aus, sich ein hübsches Logo zeichnen zu lassen und blumige PR-Texte zu deklamieren.

Darüber, was die geänderten Bedingungen für Marken und sie betreuende Agenturen bedeuten, sprachen wir mit Ralf Koyro von Orö, einer Digitalagentur aus Dortmund, die sich seit nunmehr zehn Jahren auf die Themenbereiche Markenführung und Prozessdigitalisierung spezialisiert hat.

CP: Herr Koyro, Marken müssen sich heutzutage auf so vielen Plattformen und Kanälen wie noch nie präsentieren und erlebbar werden. Hierbei kommt es insbesondere darauf an, konsequent konsistent zu sein. „One Voice Policy“ zum Beispiel ist ein viel gehörtes Stichwort. Mit welchen Mitteln können Verantwortliche den Überblick bewahren und eine klare, widerspruchsfreie Markenkommunikation gewährleisten?

Ralf Koyro: Zunächst einmal sollten sie vor allem die Thematik ernst nehmen und in ihrer Tragweite begreifen. Gerade, wenn es um Social Media geht, können sich viele Unternehmen noch immer nicht dazu durchringen, hier entsprechende Positionen zu schaffen, weil sie natürlich nicht den üblichen Ansprüchen an die Rentabilität genügen und vielmehr nur als Zuschussgeschäft begriffen werden.

Daneben muss man dann klar zwischen den verschiedenen Formaten unterscheiden. „One Voice Policy“ will ja beispielsweise den Company-Umgang mit Public Relations regeln und folgt einem eher traditionellen Sender-Empfänger-Modell: Das Unternehmen spricht, die Öffentlichkeit hört zu; klassisches PR-Business. Je nach Nachricht kann auch das mitunter recht kompliziert werden, aber es lässt sich grundsätzlich planen und organisieren.

Social-Media-Verantwortliche dagegen stehen im Dialog und müssen sich insbesondere in ihrer Reaktion auf Fragen und Beiträge von Kunden, Kritikern & Co. bewähren. Ein extrem komplexes Themenfeld, in dem Erfahrung und Können eine viel größere Rolle spielen als eine sorgfältige Planung im Vorfeld oder eine Kladde mit zu Papier gebrachten Unternehmenspositionen. Als Richtschnur sollten sich die Verantwortlichen an den Werten und Leitlinien des eigenen Unternehmens orientieren und dann einfach im Dialog ihrem Gespür vertrauen. Wer authentisch rüberkommt, darf sich im Zweifel vielleicht sogar mal einen Widerspruch leisten.

„Ohne die Einbeziehung der Sicht der Mitarbeiter und Kunden ist heute nahezu jede Marke zum Scheitern verurteilt.“ – Ralf Koyro

CP: Vertrauen ist der Anfang von allem – behauptet zumindest ein bekannter Claim. Selbst der größte Vertrauensvorschuss ist schnell aufgezehrt, wenn sich eine Marke – wie man es in den USA so schön ausdrückt – auf das „Talk the talk“ konzentriert und beim „Walk the walk“ versagt. Damit es besser läuft, ist praktisch der Einsatz aller Mitarbeiter erforderlich. Folglich ist Branding ohne adäquates Corporate Behaviour – neudeutsch für Unternehmensverhalten – im Grunde undenkbar. Wo kommen Sie als Experten für Brand Design und Markenführung da ins Spiel?

Ralf Koyro: Wenn es nach uns geht, natürlich schon ganz früh. Sozusagen noch auf der grünen Wiese. Faktisch in den meisten Fällen aber erst sehr viel später – bereits im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. Doch das ist nicht das Schlimmste! Handelt es sich zudem um ein inhabergeführtes oder produktionsnahes Unternehmen, wurden zentrale Aspekte des Corporate Behaviour oft bereits von oben herab verordnet und von den Angestellten hingenommen. Getreu der Gewaltenteilung Frederick Winslow Taylors aus dem frühen 20. Jahrhundert, die konsequent zwischen Denkenden und Handelnden unterschied – also zwischen Management und Mitarbeitern.

Unsere Aufgabe besteht dann zunächst einmal darin, herauszuarbeiten, worin sich Kunden, Mitarbeiter und Unternehmensführung in ihrer Betrachtung der Unternehmung einig sind und an welcher Stelle deutliche Widersprüche zutage treten. Anschließend versuchen wir Schnittstellen zum Unternehmenszweck, den Zielen sowie zentralen Grundüberzeugungen zu bilden beziehungsweise kritische Abweichungen zu identifizieren und gegenüber unseren Klienten klar zu benennen. Erst auf dieser Grundlage können wir vorsichtig an Aspekten der CI (Corporate Identity – das gesamte Selbstbild eines Unternehmens, Anm. d. Red.) und der Marke feilen. Für uns ist ganz klar: Ohne die Einbeziehung der Sicht der Mitarbeiter und Kunden ist heute nahezu jede Marke zum Scheitern verurteilt.

Beim Branding zählen Unverwechselbarkeit und Charakterstärke. „Digitale Originale“ – der Claim von Orö – bringt es auf den Punkt.

CP: Viele Köche verderben den Brei, heißt es. Im Marketing und Branding mischen neben Unternehmensabteilungen und klassischen Werbeagenturen zunehmend spezialisierte Agenturen sowie seit einiger Zeit auch Unternehmensberatungen mit. Zielsetzungen, Blickwinkel und Erfahrungen unterscheiden sich dabei zwangsläufig. Kann ein solches „Orchester“ überhaupt harmonisch zusammenspielen? Wie sollte sich ein Unternehmen aufstellen, das den Wert seiner Marke steigern und zu einem wirklich starken Brand werden will, ohne sich zu verzetteln?

Ralf Koyro: Das Unternehmen sollte zunächst einmal ganz konsequent zwischen strategischen und operativen Aspekten unterscheiden. So reichen der Wert und die Bedeutung einer Marke weit über den Tag und das operative Business hinaus. Dementsprechend werde ich Experten aus dem eigenen Hause und Kreative von außen hinzuziehen, wenn ich mich mit der Schärfung des Markenprofils, dem Image und allen anderen Aspekten von Corporate Identity und Corporate Design auseinandersetze.

Dazu können – je nach Fall – auch Marktforscher hinzugezogen werden, die etwas über den Status quo der Marke mitzuteilen wissen. Geht es dagegen allein um die Steigerung der Sichtbarkeit und konkrete Sales-Interessen, suche ich den Kontakt zu Mediaagenturen, Partnern für Suchmaschinenoptimierung beziehungsweise -marketing oder Consulting-Häusern, die mich in die Welt der automatisierten Leadgenerierung (Interessentengewinnung, Anm. d. Red.) und Big-Data-Nutzung mitnehmen.

Ganz wichtig ist es hier, wirklich einen Schritt nach dem anderen zu gehen und dabei den zart säuselnden Sirengesängen unterschiedlichster Anbieter so lange zu widerstehen, bis die Voraussetzungen für den Einsatz dieser Leistung auch wirklich geschaffen sind. Als angehender Hotelbetreiber lade ich ja auch keine Gäste ein, wenn sich mein Objekt noch im Rohbau befindet.

Wir wollen die Perspektive des Außenstehenden für uns so lange wie möglich erhalten …“ – Ralf Koyro

CP: In Ihrer Selbstdarstellung sprechen Sie davon, dass Sie bei allen Dienstleistungen stets die Perspektive der jeweiligen Zielgruppe Ihrer Klienten einnehmen und die Maßnahmen danach ausrichten. Wie muss man sich das vorstellen?

Ralf Koyro: Das ist relativ einfach zu erklären. Wenn wir mit unseren Klienten in Kontakt treten, können wir in der Regel sicher von zweierlei ausgehen: Erstens hat der Klient einen konkreten Anlass, mit uns zu sprechen. Zweitens haben wir keine Ahnung von seinem Business. Also versuchen wir zunächst das Unternehmen mit den Augen eines Interessenten oder potenziellen Kunden zu verstehen und das von außen für uns Sichtbare kritisch zu analysieren.

Dabei werfen wir natürlich auch gleichzeitig einen vergleichenden Blick auf die Marktbegleiter und versuchen mögliche Problemstellungen zu identifizieren. Mit diesen Erkenntnissen ausgerüstet, gehen wir dann in das Briefing unserer Klienten. Wir wollen die Perspektive des Außenstehenden für uns so lange wie möglich erhalten und dem durch Betriebsblindheit eingeschränkten Blickfeld beim Klienten entgegenstellen. Denn für uns ist es – vor allem zu Beginn eines Projekts – weniger interessant zu erfahren, warum etwas in irgendeiner Weise gelöst worden ist. Viel spannender ist es, wie es sich für den Nutzer künftig besser lösen lässt. Vor allem diese Fähigkeit kaufen sich Klienten beim Engagement einer externen Agentur ein, der kreative Output dagegen ist oft eher schmückendes Beiwerk.

„Nicht nur Endverbraucher wollen heute permanent begeistert werden, auch unsere Klienten reagieren zunehmend emotionaler …“ – Ralf Koyro

CP: Der Komplexität der Aufgabe entsprechend, verfügen Sie über ein Team von Professionals aus den unterschiedlichsten Disziplinen, darunter sogar Illustratoren. Könnten Sie einmal skizzieren, was alles dazu gehört, wenn es beispielsweise darum geht, ein neues Brand zu entwickeln?

Ralf Koyro: Da wir uns in erster Linie als eine Agentur für individuelle Lösungen begreifen – was wir mit unserem Claim „Digitale Originale“ zu unterstreichen versuchen – gibt es da natürlich keinen Königsweg. Aber die Anforderungen wachsen zunehmend, wenn es darum geht, beständige, auf Werten basierende, authentische und emotionale Marken zu entwickeln.

Das kann dann schon einmal dazu führen, dass man ein Tagespraktikum bei einem Steuerberater einlegt, um die Arbeitsabläufe zu verstehen. Oder mehrere Stunden zu Fuß eine Kleinstadt durchkämmt, um den Ort und die spezifische Atmosphäre aufzunehmen, da man für ein ansässiges, städtisches Unternehmen ein neues Corporate Design entwickelt. Oder man rekonstruiert in Augmented Reality einen riesigen Flüssiggastank, der sich in Originalgröße im freien Raum virtuell platzieren lässt. Und wenn es der Sache dient, bestellt man kleine, gelbe U-Boote aus Kunststoff, die als Tee-Ei den frischen Claim einer neuen Produktmarke visuell unterstreichen.

Nicht nur Endverbraucher wollen heute permanent begeistert werden, auch unsere Klienten reagieren zunehmend emotionaler und honorieren originelle Sinneseindrücke wie auch unsere Bereitschaft, tief in ihren unternehmerischen Alltag einzutauchen. Und ehrlich gesagt: Das ist auch mit das Geilste an unserem Job!

CP: Herr Koyro, haben Sie vielen Dank für die detailreichen Ausführungen und die interessanten Einblicke in Ihre Arbeit.

Die Fragen stellte Michael Graef.

Weitere Informationen:
ORÖ GmbH
www.oroe.de

 
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