Kunstleder ist nicht gleich Kunstleder. Das Model auf unserem Titelbild trägt Stücke aus der „Vegan Leather Capsule Collection“ von JAN ‘N JUNE.

Wer als vegan lebender Mensch konsequent sein will, muss neben der Umstellung der Ernährung genauso bei Bekleidung und Accessoires ausgetretene Pfade verlassen. Mehr und mehr wird daher beispielsweise zu Stoffschuhen gegriffen. Luftundurchlässiges Kunstleder ist demgegenüber als Ersatz ungeeignet. Bei Oberbekleidung, Handtaschen oder Gürteln sieht die Sache anders aus. Wobei sich die Frage stellt, ob diese einleuchtende Form praktizierten Tierschutzes zugleich der Umwelt nutzt. Die sibyllinische Antwort lautet: je nachdem. Kunstleder ist nicht gleich Kunstleder. Das zumindest verbindet das Ersatzmaterial mit seinem natürlichen Vorbild.

Ein robustes Entsorgungsproblem

Kunstleder besteht typischerweise aus geschäumter oder ungeschäumter PVC-Folie, die zusätzlich mit Trägermaterial aus Gewebe versehen sein kann. Das Endlosmaterial ist sehr robust, unempfindlich, leicht zu reinigen und somit für unterschiedlichste Zwecke geeignet. Die Unempfindlichkeit wird allerdings irgendwann zum Bumerang. Während hochwertige Lederwaren würdevoll altern und gern von Generation zu Generation weitergegeben werden, wird der Nachwelt mit herkömmlichem Kunstleder lediglich ein Entsorgungsproblem vermacht.

Die Wirkung, die Plastikmüll in der Natur entfaltet, darf als bekannt vorausgesetzt werden. In den Ozeanen haben die Hinterlassenschaften der Wegwerfgesellschaft zu einem Massensterben geführt. Nicht zuletzt deswegen vermeidet man es in der Modewelt heute am liebsten, von Kunstleder zu sprechen. Doch es gibt weitere Gründe.

Bei Kunstleder kommt es aufs Mitdenken an

Zum größeren Teil stammt das schlechte Image von Kunstleder noch aus der Zeit vor dem Aufkommen des modernen Veganismus und der Entstehung eines Bewusstseins für die atemberaubende Dimension des Plastikmüllproblems. Es rührt davon her, dass Lederimitat stets nichts anderes war als ein billiges Surrogat für echtes Leder. Von einer Faszination oder gar Liebe für Kunstleder hört man dementsprechend wenig.

Wie gesagt: Kunstleder ist nicht gleich Kunstleder. Ebenso ist veganes Leder nicht immer vegan – im (erweiterten) Sinne von umweltfreundlich. Inzwischen bietet der vegane Lifestyle Herstellern ohne Verantwortungsbewusstsein die Chance, PVC-Kunstleder mit gesundheitsgefährdenden Weichmachern unter dem neuen Begriff „veganes Leder“ wertig und unbedenklich erscheinen zu lassen, um es zu Höchstpreisen zu verkaufen. Man kann das perfide nennen, verboten ist es nicht. Hier zeigt sich, wie wichtig Aufklärungsarbeit und das Mitdenken durch Konsumierende ist.

Zu schön, um wahr zu sein

Kommen wir zu einer Variante des veganen Leders, welche den Namen viel eher verdient: Ist auf pflanzlicher Grundlage und frei von Erdöl und giftiger Chemie produzierter Lederersatz die Lösung? Dass sich aus landwirtschaftlichen Abfällen oder Dingen wie Baumrinde Kunstleder herstellen lässt, klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Der Haken ist die fehlende Haltbarkeit. Wird der energetische Aufwand für die Herstellung und den Transport außer Acht gelassen, kann man sich das eventuell schönreden. Der globalen ökologischen Krise des Anthropozän ist indes mit Milchmädchenrechnungen kaum beizukommen. Was also tun?

Eine interessante Meldung erreichte uns unlängst von JAN ‘N JUNE. Das Hamburger Label dürften diejenigen, die unser Design-Journal regelmäßig lesen, bereits kennen. Für ihre „Vegan Leather Capsule Collection“ setzen Anna Bronowski und Jula Holtzheimer auf sogenanntes „Coated Jersey“ aus mit Polyurethan beschichteter Bio-Baumwolle. Im Gegensatz zu PVC zählt Polyurethan zu den ungiftigen Kunststoffen, weswegen der Ansatz grundsätzlich Sinn macht. Der einzige Schönheitsfehler ist das Fehlen eines geeigneten Rücknahmesystems, das verhindert, dass die von Konsumierenden nicht sortenrein zu trennenden Rohstoffe am Ende des Lebenszyklus ungenutzt im Müll landen. Das betrifft indessen die gesamte Bekleidungsindustrie.

Fazit

Echtes Leder ist einzigartig. Es ist jedoch verständlich, dass sich viele dagegen entscheiden. Zu dem offensichtlichen ethischen Vorbehalt kommt hinzu, dass der Trend zu billiger Wegwerfmode die traditionelle Lederherstellung weitgehend verdrängt hat. An die Stelle traten Ausbeuterbetriebe, die beim Gerben, Färben und chemischen Ausrüsten Gewässer vergiften und Menschen krank machen. Zudem rechnet die Massentierhaltung, die hierfür die Tierhäute liefert, zu den größten Treibern der Naturzerstörung weltweit.

All das Gesagte erlaubt eigentlich nur einen Schluss: Wenn Leder, dann hochwertig. Bei pfleglicher Behandlung halten gute Schuhe oder Handschuhe aus Leder Jahrzehnte. Wählt man klassische Formen und Farben, bleiben sie auch optisch aktuell. Wenn es hingegen unbedingt Kunstleder respektive veganes Leder sein soll, dann bitte so wie bei JAN ‘N JUNE – frei von PVC & Co. Außerdem – aber das muss sich leider erst durchsetzen – sollte Plastik ausnahmslos innerhalb geschlossener Kreisläufe wie Cradle-to-Cradle eingesetzt werden. Geschieht das nicht, bleibt es als Müll von morgen eine tickende Zeitbombe.

Bildhinweis:
Das Model auf unserem Titelbild trägt Stücke aus der „Vegan Leather Capsule Collection“ von JAN ‘N JUNE. © JAN ‘N JUNE

Weitere Informationen:
JAN ‘N JUNE
www.jannjune.com

 
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