Erinnerungen an 1979 oder Déjà-vus? Die Memory-Kollektion von Marcel Ostertag treibt ein faszinierendes Spiel mit der Wahrnehmung.

Erinnerungen, das sagt uns die Wissenschaft, sind mit einer groben Nadel gestrickt. Noch dazu verändert jedes Erinnern sie dauerhaft – fast wie bei einer Laufmasche, an der man immer wieder ein wenig zieht. Wer also kann schon exakt wissen, was er in einem bestimmten Augenblick seines Lebens gedacht oder empfunden hat?

Und doch kennt jeder diese Art von plastischen Erinnerungen an bestimmte Situationen, die uns aus irgendeinem Grund als Stimmung oder Lebensgefühl mitunter noch Jahrzehnte danach beschäftigen. Selbst wenn der Ursprung lediglich ein kurzes Innehalten an einer roten Ampel an einem vermeintlich bedeutungslosen, völlig verregneten Tag gewesen ist. Als uns etwas klar wurde – oder wir einfach darauf warteten, dass irgendetwas passiert. Vielleicht gleich hinter der nächsten Kurve …

Obscure Memory

Genau so beschrieb Billy Corgan Jahre später jene scheinbar unbedeutende „obscure memory“ aus seiner Jugend, nachdem sie für ihn zur Inspiration geworden war für „1979“. Der von jugendlicher Aufbruchstimmung handelnde Song, der sich zum kommerziell erfolgreichsten der Ausnahme-Rockband The Smashing Pumpkins entwickelte, hat wiederum seit seiner Veröffentlichung 1996 für Millionen Menschen weltweit wertvolle Erinnerungen konserviert, mit denen sie ihn aufluden.

1979 ist auch der zeitliche Referenzpunkt für die neuesten Kreationen von Marcel Ostertag. Für den Designer ist es ein sehr wichtiges Jahr, denn er ist 1979 geboren. Zudem ließe sich argumentieren, dass das Jahr den ungefähren Mittelpunkt einer kulturgeschichtlich überaus bemerkenswerten Phase bildet. Damals – genauer in dem Zeitfenster zwischen Ende der 1970er-Jahre und Anfang der 1980er – entstand, was der Kunsthistoriker Germano Celant als „Contemporaryism“ bezeichnet hat: die bis heute anhaltende, durch die Medienrevolution des Internet sogar noch gesteigerte, alles durchdringende Obsession mit dem Hier und Jetzt als die dominierende Zeitform.

„Ich möchte Looks über den Runway schicken, die 1979 in der Harpers Bazaar abgelichtet worden sein könnten, aber genauso heute und in den nächsten Jahrzehnten getragen werden können.“ – Marcel Ostertag

1979 forever

Die neue Memory-Kollektion von Marcel Ostertag ist ein Spiel aus Materialmixen und hochwertigen Stoffen mit haptischen Qualitäten, die den optischen in nichts nachstehen. Kaschmir wird mit Seide kombiniert, Lack mit Wolle, barocke Prints vermischt Ostertag mit Unis. Wehende Kleider treffen auf figurbetonte Anzüge, Oversized-Mäntel und lässige Schlaghosen … Ostertag lässt gewiss keine Wünsche offen.

Unschwer zu erkennen ist die Reverenz an Gianni Versace und dessen frühe Erfolge (zwischen 1978 und 1979 fanden seine ersten Fashion- beziehungsweise Prêt-à-porter-Shows statt), die es ihm ermöglichten, ein Lifestyle- und Fashion-Imperium zu etablieren wie nur wenige vor oder nach ihm. Gekonnt fängt Ostertag den Glamour seines Idols ein und transformiert ihn in Entwürfe, die neu sind und zugleich berückende Déjà-vus.

Vielseitigkeit als Kunstform: Die neue Kollektion lässt keine Wünsche offen.

Gültigkeit über den Tag hinaus

„Ich möchte Looks über den Runway schicken, die 1979 in der Harpers Bazaar abgelichtet worden sein könnten, aber genauso heute und in den nächsten Jahrzehnten getragen werden können“, erklärt Marcel Ostertag.

Hierin drückt sich einmal mehr aus, was Ostertags Arbeiten insgesamt bemerkenswert macht: Während Mode offenkundig der Inbegriff der Schnelllebigkeit ist, sucht der gebürtige Berchtesgadener spätestens seit der Gründung seines Modelabels im Jahre 2006 neben der Relevanz für die Gegenwart stets nach Gültigkeit über den Tag hinaus, sorgt sich um die Langlebigkeit seiner Kleidung und investiert viel in handwerkliche Perfektion als Gegenentwurf zu „Fast Fashion“. Statt Trends hinterherzulaufen kreiert er mit Mode eigene Geschichten und hält darin Erinnerungen fest – am bislang pointiertesten bei seiner Memory-Kollektion.

Weitere Informationen:
Marcel Ostertag
www.marcelostertag.com

Bildhinweis:
Für alle Fotos gilt: © Suzana Holtgrave

 
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