Kein Kondensstreifen so weit das Auge reicht und wochenlang Stille. Das Frühjahr 2020 brachte für die Luftfahrt die größte Zäsur seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Fast über Nacht mussten Airlines in aller Welt ihre Flugpläne auf das Niveau der frühen 1950er-Jahre zusammenstreichen. Mit mehr als 90 Prozent weniger Flugbewegungen wurde nachvollziehbar, wie frühere Generationen den Himmel gesehen und den seltenen Anblick von Flugzeugen erlebt haben müssen. Lange bevor das Fliegen zum banalen Massengeschäft wurde, das eine permanent über den Wolken schwebende Millionenstadt entstehen ließ.
Wie gerufen kommt da eine Neuerscheinung aus dem Verlagsprogramm von GeraMond. Sie beschäftigt sich mit der Geschichte und Gegenwart der Luftfahrt-Legende Junkers Ju 52, des letzten unter der Leitung des genialen Konstrukteurs und Luftfahrtpioniers Hugo Junkers entwickelten Flugzeugmodells. Die „Tante Ju“ genannte Ju 52 war ursprünglich als einmotoriges Frachtflugzeug geplant. 1932 erfolgte ihre Indienststellung als Passagiermaschine in der dreimotorigen Version Ju 52/3m. Sie wird zu den Meilensteinen der Luftfahrtgeschichte gerechnet.
Von der Eroberung des Himmels
Unsere heutigen Flugzeuge sind vollständig vernetzte fliegende Computer. Sie werden die meiste Zeit frei von menschlichem Zutun gelenkt. Der Faszination des Fliegens tat das keinen Abbruch. Die weitaus größere Anziehungskraft geht jedoch von jenen analogen und mechanischen „Fliegenden Kisten“ aus, die am Anfang der Eroberung der Lüfte standen.
In diese Epoche nimmt der Ingenieur, Historiker und Publizist Helmut Erfurth seine Leser in „Ju 52“ mit. Anschaulich und kurzweilig schildert sein Buch die Entstehung der verschiedenen Junkers-Flugzeugmuster. Diese verbanden hohen Komfort mit Solidität und Sicherheit im Betrieb. Mit Maschinen von Junkers gelangen Höhenweltrekorde, wurden schwierigste Strecken über die Alpen und Anden problemlos gemeistert und erstmals der Atlantik in Ost-West-Richtung überquert. Am Himmel über den entlegensten Regionen der Erde waren sie alsbald zu Hause. In Gegenden, die oft nur aus der Luft erreicht werden konnten.
Ein kurzes Abenteuer: Junkers Luftverkehr AG
Dass einst sogar nahezu die Hälfte des weltweiten Streckennetzes mit Junkers-Flugzeugen bedient wurde, ist beinahe in Vergessenheit geraten. Wirtschaftlich rentabel war das allerdings aufgrund der geringen Passagierzahlen beziehungsweise -plätze zu Beginn nicht. Und so endete das Abenteuer der 1921 gegründeten Junkers Luftverkehr AG schon fünf Jahre danach mit der von staatlicher Seite bewirkten Fusion mit der Deutschen Aero Lloyd zur (damals noch getrennt geschriebenen) Deutschen Luft Hansa.
Die Kontrolle über die Junkers Motorenbau GmbH und die Junkers Flugzeugwerk AG, seine beiden anderen aviatischen Firmengründungen in Dessau, verlor Hugo Junkers 1933. Weil er den Aufrüstungsbestrebungen der Nationalsozialisten im Weg stand, wurde er enteignet und erhielt Stadtverbot für Dessau. Ausführlich befasst sich Helmut Erfurth im Rahmen eines eigenen Kapitels mit den Folgen der Machtergreifung und der janusköpfigen Natur der ohne Umbau militärisch einsetzbaren Ju 52.
Wer war Hugo Junkers?
Doch was für ein Mensch war der Maschinenbauer und Unternehmer Hugo Junkers, der 1859 in Rheydt, heute Stadtteil Mönchengladbachs, als Sohn eines wohlhabenden Webereibesitzers geboren wurde? Dieser Frage widmet Helmut Erfurth ebenfalls ein Kapitel. Hier ist zu erfahren, warum die scheinbar disparate Vorgeschichte – der musisch und sportlich veranlagte zwölffache Vater erfand zunächst den Gasbadeofen und später den Durchlauferhitzer – als Grundlage für seine bahnbrechenden Patente im Bereich des Flugzeugbaus durchaus wichtig waren.
Mit der Erfindung der freitragenden, unverspannten Tragfläche sowie dem Ganzmetallbau von Flugzeugrümpfen revolutionierte Junkers die Luftfahrt und widerlegte das selbst unter Fliegern vorhandene Vorurteil, ein Objekt aus Metall könne niemals abheben. Man darf dabei nicht vergessen: Als er sich der Luftfahrt zuzuwenden begann, war Junkers, der zudem an Kunst und Gestaltung interessiert war und enge Kontakte mit den Meistern des Bauhaus unterhielt, bereits rund 50 Jahre alt.
Ju 52 – uneingeschränkt empfehlenswert
Dass Erfurth technische Feinheiten weitgehend in das Kapitel „Technik im Detail“ auslagert hat, ist eine vorzügliche Idee. So überlässt er es seinen Lesern, sich genauer über bestimmte Hintergründe zu informieren. Neben der schriftstellerischen Glanzleistung verdient der Autor großes Lob für die vielen grandiosen und teilweise bis dato unveröffentlichten Fotografien. Sie tragen wesentlich zum Zauber dieses sehr besonderen Sachbuchs bei.
Es fällt denn auch leicht, Ju 52 allen an Design, Luftfahrt und Geschichte Interessierten uneingeschränkt zu empfehlen. Hervorzuheben ist abschließend, dass es Erfurth gelungen ist, die Vision des überzeugten Pazifisten und Demokraten Junkers näherzubringen. Sie drückt sich in Zitaten wie dem Folgenden aus, das eingedenk des globalen Wettrüstens aus heutiger Sicht zugleich naiv klingt und wie ein wundervoller Zukunftstraum: „Lassen Sie uns das Flugzeug zu einem Kampfmittel froher Menschlichkeit machen, welches allen Menschen und allen Nationen Segen bringt und allen Menschen und allen Nationen zusteht.“
Helmut Erfurth
Ju 52: Geschichte und Gegenwart einer Luftfahrt-Legende
ISBN: 9783862457564
GeraMond Verlag
192 Seiten, ca. 350 Abbildungen
26,8 x 28,9 cm, Hardcover
Weitere Informationen:
GeraMond Verlag GmbH
www.geramond.de
Bildhinweis:
Das Titelbild zeigt eine flugbegeisterte, auf dem Leitwerk einer Junkers G 23 posierende Dame in Dübendorf (Kanton Zürich, Schweiz). Die erste dreimotorige Maschine der Junkers-Werke war eine Vorläuferin der Ju 52. Das Foto stammt aus der Sammlung von Helmut Erfurth.