Rechtzeitig zum 100. Jubiläum der epochalen Entdeckung von KV62 durch den Briten Howard Carter ist mit Nadja Tomoums „Das Geheimnis des Tutanchamun“ die erste neue Publikation zum Thema seit Jahren erschienen. Wir haben es gelesen. Foto: © Verlag C.H.Beck

Ist es nicht die Sehnsucht jedes Menschen und jeder Generation, etwas zu hinterlassen, das nicht vom Strom der Zeit hinfortgerissen wird? Ungläubig staunend blicken wir aus unserer vom Wegwerfkonsum und sinkenden kulturellen Halbwertszeiten geprägten Gegenwart auf die über die Jahrtausende erhalten gebliebenen altägyptischen Baudenkmäler und Kunstschätze. Eine herausragende Rolle spielen hierbei die Funde aus dem 1922 entdeckten Grab des Tutanchamun. Rechtzeitig zum 100. Jubiläum von Howard Carters epochalem Fund ist mit Nadja Tomoums „Das Geheimnis des Tutanchamun“ die erste neue Publikation zum Thema seit Jahren erschienen. Das allein schon hat uns neugierig gemacht.

Als der Brite Howard Carter im Oktober 1922 nach Ägypten zurückkehrte, um seine jahrelang betriebene Suche nach dem Grab von Pharao Tutanchamun fortzusetzen, war das seine allerletzte Chance. Einzig noch diese eine Grabungssaison war ihm von seinem Finanzier, George Herbert, 5. Earl of Carnarvon – kurz Lord Carnarvon genannt – gewährt worden. Carter, dem eine professionelle Ausbildung abging, war in jungen Jahren über Beziehungen zu einer Anstellung in Ägypten gekommen. Hier durfte er zeichnerische Dokumentationen bei Ausgrabungen anfertigen. Neigung und Talent ermutigten ihn, sich später der Archäologie selbst zu widmen. Seine Vorstellung aber, ausgerechnet im fast lückenlos umgepflügten Tal der Könige noch ein weiteres Pharaonengrab zu entdecken, machte ihn in Fachkreisen zum Sonderling.

In letzter Minute

Experten entwarfen die Titanic, doch ein Laie baute die Arche, heißt es. Und so gelang es Carter und seinem Team Anfang November 1922 – keine Minute zu früh –, unter Wüstensand und Geröll den Eingang zu einem Grab mit intakten antiken Siegeln darauf freizulegen. Dort, wo einer von Carters Arbeitern zufällig am 4. November eine Stufe entdeckt hatte. Die Sensation war perfekt, als sich herausstellte, dass man tatsächlich auf Tutanchamuns Ruhestätte gestoßen war. Mit KV62, so das ägyptologische Kürzel für das Pharaonengrab (KV steht für Kings’ Valley – das Tal der Könige) war dem Autodidakten einer der bemerkenswertesten Funde aller Zeiten geglückt. Dieser prägte vor 100 Jahren die Entwicklung einer allgemeinen Idee von der altägyptischen Zivilisation und wirkt bis in die Gegenwart nach.

Dabei waren dem 1332 v. Chr. geborenen Pharao aus der 18. Dynastie des Neuen Reiches bloß wenige irdische Jahre vergönnt gewesen. Bereits im zarten Alter von etwa 19 Jahren soll Tutanchamun gestorben sein. Vielleicht an Sepsis infolge eines Bruches im Bereich des Oberschenkels. Oder an Malaria. Genau weiß man es nicht. Seine unmittelbaren Nachfolger gaben sich Mühe, die Spuren zu tilgen, die er hinterließ. Dass auch sein Grab bald in Vergessenheit geriet, erwies sich im Nachhinein als Glücksfall. Die vielen aus diesem Grund erhalten gebliebenen Artefakte – allen voran die emblematische goldene Totenmaske – lösten seinerzeit eine regelrechte weltweite „Tutmania“ aus. Dieser spürt Nadja Tomoum in ihrem neuen Buch „Das Geheimnis des Tutanchamun“ ebenso nach wie der abenteuerlichen Entdeckung und den archäologischen Besonderheiten von KV62.

Segen und Fluch?

Der eigentliche Höhepunkt des Grabungsprojektes ereignete sich am 26. November 1922, nachdem Carters Förderer vor Ort eingetroffen war. In seinem Tagebuch beschreibt Howard Carter jenen Moment, der ihn ähnlich unsterblich machen sollte wie den König, dessen Totenruhe er im Begriff war zu stören, wie folgt: „Für den Augenblick – den andern, die neben mir standen, muß es wie eine Ewigkeit erschienen sein – war ich vor Verwunderung stumm. Als Lord Carnarvon die Ungewißheit nicht länger ertragen konnte und ängstlich fragte: ‚Können Sie etwas sehen?‘, war alles, was ich herausbringen konnte: ‚Ja, wunderbare Dinge!‘“

Öffnete Carter indes mit dem Grab, in das er zunächst lediglich durch ein winziges Bohrloch geblickt hatte, zugleich eine Art Büchse der Pandora? Wie ein Lauffeuer verbreitete sich nicht nur die Nachricht vom Jahrhundertfund, sondern zudem das Gerücht vom vermeintlichen Fluch des Pharaos. Auch auf diesen Aspekt der „ersten globalen Mediensensation“ kommt Nadja Tomoum zu sprechen.

Prädikat „lesenswert“

Weiterhin widmet sich die Neuerscheinung im Detail den Grabbeigaben und Schätzen sowie der Mumie. Wer war überhaupt der Mensch hinter der Goldmaske? Und welche Rolle spielte die religiöse Revolution, die Pharao Echnaton einige Jahre zuvor mit dem Wandel zur ältesten bekannten (quasi-)monotheistischen Religion eingeläutet hatte? Kenntnisreich und wortgewandt liefert die promovierte Ägyptologin und Kunsthistorikerin Nadja Tomoum Antworten. Tomoum arbeitete lange Zeit in Kairo und war als Museums- und Projektleiterin in renommierten Häusern im In- und Ausland tätig. Ihr Buch empfiehlt sich als erhellende Lektüre für jeden, der mit oder ohne Vorkenntnisse dem Alten Ägypten auf die Spur kommen und mehr über diese faszinierende und nach wie vor in vielerlei Hinsicht rätselhafte Zivilisation erfahren will.

Nadja Tomoum
Das Geheimnis des Tutanchamun
Verlag C.H.Beck
304 S., Hardcover mit 29 s/w-Abbildungen und Karten sowie einem Tafelteil mit 22 farbigen Abbildungen
ISBN 978-3-406-79359-2

Weitere Informationen:
Verlag C.H.Beck oHG
www.chbeck.de

 
Anzeige