Die ganze Welt als Slogan – Symbolbild zum RGBMAG-Essay über den Wandel der Kommunikation hin zu Kurzformen und über die gesellschaftlichen Folgen des Phänomens.

Es ist kein bloßer Slogan: Die Kommunikation befindet sich in einem schnellen Wandel, hin zur Bevorzugung von Kurzformen. Ein Phänomen, seine Ursprünge und die gesellschaftlichen Folgen.

Malcolm Turnbull, der spätere Premierminister Australiens, warnte 2012 vor den Folgen einer immer stärkeren Verflachung politischer Inhalte: Die Tendenz, alles auf kurze Pressestatements oder gar Slogans zu reduzieren, führe zum Verlust substanzieller Debatten [1].

Nur die Idiosynkrasie eines Einzelnen oder ein Spezifikum des kleinsten Erdteils? Liefe man, wenn man vielmehr von einer allgemein gültigen Diagnose ausginge, nicht Gefahr, sogleich in das kulturpessimistische Fahrwasser Oswald Spenglers zu geraten?

Ein anderer Philosoph, Paul Virilio, beschäftigte sich schon zu Beginn der 90er Jahre damit, wie im Zeitalter der lichtgeschwinden Informationsübertragung die alte Ordnung des Aufeinanderfolgens der Ereignisse durch die Unordnung des Gleichzeitigen ersetzt wird [2]. Sorgt vielleicht die Beschleunigung sämtlicher Lebensverhältnisse zusammen mit dem rasant wachsenden Überangebot an (Echtzeit-)Informationen unweigerlich für den Verlust von Tiefgründigkeit?

Mahlstrom aus Statusmeldungen versus 15 Minuten Berühmtheit

Den endlos tosenden Mahlstrom aus Statusmeldungen in Nachrichten-Apps und sozialen Netzwerken jedenfalls hätte sich nicht einmal Edgar Allan Poe ungestümer ausmalen können. Ohne größeres Aufsehen endete offenbar der „Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ [3] mit einer Kapitulation: mit der völligen Unterwerfung unter das „Jetzt und Hier“. Und die immer schnellere Taktung des Jetzt verlässt vielfach den kognitiven Horizont des menschlichen Gehirns, zum Beispiel beim Hochgeschwindigkeitshandel an der Börse, der im Bereich von Millisekunden abläuft – inklusive der Auswertung kursrelevanter Nachrichten in Echtzeit.

Von Andy Warhols 15 Minuten Berühmtheit – ergo Aufmerksamkeit – für jedermann ist auch nicht viel übrig geblieben; kaum ist etwas „trending“, befördern kalte Algorithmen es schon wieder in den Daten-Orkus.

Autonome Maschinen und gestresste Kaninchen

Ob irgendwann die von Virilio beschriebene ultimative Geschwindigkeitsrevolution zum Tragen kommt, bei der der Mensch mittels Implantation von Mikrochips wieder an das forcierte Tempo angepasst wird, wenn auch ebenso gut eine (dystopische?) Welt vorstellbar ist, in der Maschinen vollkommen autonom agieren, bleibt abzuwarten.

Bis dahin lassen sinkende informationelle Halbwertszeiten Menschen sich mehr und mehr so fühlen, wie das weiße Kaninchen aus dem berühmten Buch von Lewis Carroll: „Oh dear! Oh dear! I shall be too late!“ Da ist es auch längst nicht mehr selbstverständlich, seinem Gegenüber die ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken: Das „digitale Brett vorm Kopf“ aus Höflichkeit beiseite zu legen, muss scheinbar erst wieder mühsam gelernt werden, wie die häufige Thematisierung in Benimm-Empfehlungen zeigt.

Dass sich die ganz normale Gesprächskultur im Alltag ohnehin verflacht hat, weiß die Sprachwissenschaftlerin Doris Märtin zu berichten, die eine zunehmende Ähnlichkeit zur „floskelhaften Aufmerksamkeit im Servicebereich“ [4] entdeckt haben will.

Kennedys Kapitulation vor der Rhetorik

Und doch: Der allenthalben beobachtbare Wandel der Kommunikation hin zur Bevorzugung von Kurzformen ist gewiss kein originäres Phänomen des Internet- oder Smartphonezeitalters. Er hat seinen Ursprung in viel älteren Entwicklungen.

Lange vor dem Internet wurde vornehmlich in der Politik und später im Marketing damit begonnen, mit sprachlichen Abkürzungen zu experimentieren, um wahlweise unerwünschte Denkprozesse zu verhindern oder gewünschte Emotionen zu triggern.

Der Historiker und Präsidentenberater Arthur M. Schlesinger beschreibt beispielsweise in seinen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Erinnerungen die durch John F. Kennedys Losung vom Aufbruch zu neuen Ufern entfachte allgemeine Euphorie. Sie habe für einen Moment glauben gemacht, „that the world was plastic and the future unlimited“ [5]. Allerdings zweifelt Schlesinger im selben Atemzug an, ob man in Anbetracht der vielschichtigen Herausforderungen, vor denen die Präsidentschaft stand, wirklich daran geglaubt habe. In dem Slogan „New frontier“ sieht er denn auch Kennedys „vorübergehende Kapitulation vor der Rhetorik“ [6].

Beliebigkeit als höchste Tugend

Auch das „Yes, we can“, welches knapp fünfzig Jahre später im Wahlkampf Barack Obamas eine entscheidende Rolle spielte, hat etwas von Realitätsverlust. Nach der raschen Entzauberung in den Niederungen der grauen Tagespolitik wurde der Slogan im Zuge des NSA-Abhörskandals sogar als „Yes, we scan“ [7] verspottet.

Womöglich müssen derart riesige Projektionsflächen für Hoffnungen und Träume zwangsläufig für proportionale Enttäuschung sorgen. Denn im Gegensatz zu Markenslogans wie dem weltbekannten „Just do it“, der dem „Yes, we can“ in seinem lakonisch-appellhaften Charakter sehr ähnlich ist, genießen politische Slogans nicht den Vorzug, bar jeder Verantwortung Beliebigkeit zur höchsten Tugend stilisieren zu können.

„Just do it – it’s idiotic. You could slap that slogan on a picture of Hitler and it would make as much sense“, schrieb Gregory Galloway in seinem 2013 erschienenen Roman „The 39 Deaths of Adam Strand“ [8] über den Nike-Slogan. Wobei geflissentlich ignoriert wird, dass Markenslogans traditionell nicht zu den Textgattungen gehören, in denen man nach Moral suchen oder von denen man einen Beitrag zur Hebung der menschlichen Beziehungen erwarten sollte.

Slogan und Kriegsgeschrei

Bezeichnenderweise wurde der Nike-Slogan durch die letzten Worte eines 1977 in Utah zum Tode verurteilten zweifachen Mörders inspiriert, der dem Vernehmen nach im Angesicht des Erschießungskommandos gesagt haben soll: „Let´s do this“ [9]. Makaber? Schon möglich, bloß wurde das Wort Slogan auch nicht auf einem Kindergeburtstag erfunden, sondern stammt bekanntlich vom gälischen Wort für Kriegsgeschrei.

Und genau darum geht es: Um das Senden kurzer und prägnanter Signale als Orientierungshilfen in einem Umfeld, welches ähnlich unübersichtlich ist wie ein Schlachtfeld. Nur sind diese Signale inzwischen so austauschbar wie die Waren, auf die sie die Aufmerksamkeit der Konsumenten lenken sollen.

Rhetorische Verrenkungen

Nicht von ungefähr philosophierte Sabine Nedelchev, Chefredakteurin der Zeitschrift Elle, in ihrem Editorial vom Mai 2009 vor dem Hintergrund der inflationären Verwendung des Wortes Luxus – Bestandteil der Vermarktung „jedes banalen Schaumbads“ – über die Notwendigkeit eines neuen „Exklusivitäts-Begriffs“.

Zweifelsohne eine existenzielle Frage für ein Medium, das großteils von Anzeigen für Produkte lebt, die gerade nicht zum erschwinglichen Luxus zählen. Luxus für jeden?! Diese begriffliche Verrenkung lässt sich höchstens unter Zuhilfenahme der Etymologie auflösen: Als Ausdruck für die Abweichung vom Gewöhnlichen entstammt Luxus ausgerechnet dem lateinischen Wort für Verrenkung.

Rhetorische und psychologische Kunstgriffe aber, die in der Welt des Konsums schlimmstenfalls dafür sorgen, dass sich Menschen finanziell verrenken, um sich Dinge zu leisten, die sie nicht benötigen, um damit anderen Menschen zu gefallen, die sie nicht mögen, bergen in der Politik viel beträchtlichere Gefahren.

Zwischen Panikmache und Valium

Politische Propaganda kennt im Wesentlichen die zwei Tonarten des Verängstigens und des Einlullens. Mit welcher jahrhundertealten Tradition methodischer Perfektionierung man es hier zu tun hat, lässt die Wortherkunft aus dem Neulateinischen erahnen: „Congregatio de propaganda fide“ – päpstliche Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens.

Bekannte Beispiele aus früheren Jahrzehnten für die Methode des Verängstigens sind die Rhetorik des McCarthyismus der 50er Jahre und die der Bush-Administration nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Das über jeden Zweifel erhabene Ziel, die Freiheit gegen Feinde von innen oder außen zu verteidigen, liefert den Vorwand zur Durchsetzung radikaler Maßnahmen – einschließlich des massiven Aushöhlens der Freiheitsrechte. Durch geschicktes Bedienen der Angstklaviatur kann ein an Massenpsychose grenzendes gesellschaftliches Klima erzeugt werden, das ergebnisoffene Debatten, die mit dem Risiko eines unerwünschten Ausgangs verbunden sind, unterbindet.

Die andere – gewissermaßen in Valium getränkte – Variante kann so aussehen: Man tischt dem eigenen Volk ein aberwitziges Märchen zur Beruhigung auf; zum Beispiel, dass es im Falle eines sowjetischen Atombombenangriffs ausreicht, wenn man sich unter einen Tisch kauert und mit den Händen bedeckt. Dargeboten als launiges Zeichentrick-Filmchen mit optimistischem Jingle, eine witzige Schildkröte als Identifikationsfigur und ein eingängiger Slogan – „Duck and cover“ [10] –, fertig ist die Realsatire.

Schlafen und konsumieren

Der ebenfalls an Satire grenzende Science-Fiction-Film namens „Sie leben“ von 1988 [11] hat die Welt hinter der Fassade der Slogans zum Thema. In einer von Außerirdischen kontrollierten Welt lässt Regisseur John Carpenter seinen Protagonisten einen Karton Sonnenbrillen finden, welche ansonsten verborgene Aufforderungen in Zeitschriften, auf Plakaten und Hinweisschildern wie „Obey and conform“, „Stay asleep – consume“ oder „Do not question authority“ sichtbar werden lassen – und auf Dollar-Banknoten ein götzendienerisches „This is your god“, dort wo sonst „In God we trust“ steht.

Zeit für eine Frage, die man sich mit Blick auf all die – primär vom Streben nach Macht und dem Verfolgen wirtschaftlicher Interessen geleiteten – Versuche von Spindoktoren, PR-Leuten und sonstigen „Influencern“, Legenden als Wahrheiten zu positionieren, stellen muss: Wem kann man eigentlich noch vertrauen in einer Welt, die von interessierten Kreisen gewissermaßen mehr und mehr in ein „potemkinsches globales Dorf“ verwandelt wird?

Etwa dem, der sich „Don´t do evil“ [12] auf die Fahne schreibt? Wenngleich das Firmenmotto aus der Zeit von Googles Börsengang mittlerweile eingemottet ist, bleibt die Frage spannend, ob ein Konzern, dessen Datenbanken zigmal mehr über das Verhalten, die Wünsche, Sorgen und Ängste der Menschen wissen, als alle Beichtväter der Kirchengeschichte zusammengenommen, so unschuldig sein kann wie ein Stück Seife.

Gegen Schaumschlägerei

Von Schaumbad war bereits die Rede. Eine weiße Seife hingegen – sie sollte zunächst auch so heißen – war eines der ersten Produkte, welches nach modernen Prinzipien massenmedial vermarktet wurde. Mit „Ivory Soap“ bekam sie dann aber einen poetischeren Namen, wohingegen der 1891 ergänzte Slogan deutlich sachlicher ausfiel: „It floats“.

Den Schwimm-Vorteil gegenüber zeitgenössischen Konkurrenzprodukten, der die Seife im Waschbottich leicht erreichbar machte, ließ der Wandel hin zum Duschen zwar irrelevant werden. Der Slogan jedoch ist bis heute beispielhaft – ein elegantes Meisterwerk, so einfach geformt wie eine Seife. Nur ohne sich ähnlich schnell abzunutzen – und frei von Schaumschlägerei.

Keep it real!

Was man davon lernen kann? In der ehrlichen Beschreibung dessen, was ist, liegt auch heutzutage noch (vielleicht mehr denn je) eine enorme Chance auf Relevanz. Jede Tiefgründigkeit, jede lohnenswerte Debatte beginnt in Wahrheit damit. Und während besagte moderne Kommunikationsmittel die Verkürzung der Diskurse dem Anschein nach begünstigen, sind sie andererseits Gold wert für die rasche Verbreitung der Kenntnis von Missständen.

Diesem Umstand ist es übrigens in der Hauptsache geschuldet, dass der Ratschlag von Kommunikationsberatern zur Binse geworden ist, man solle sich weniger mit „Storytelling“ befassen und stattdessen mehr ans „Storyliving“ denken, also Bekenntnisse aus PR-Texten durch konkrete Taten unterfüttern. Oder anders – als Slogan – ausgedrückt: „Keep it real!“

Quellen:

[1] vgl. Taylor, L. Malcolm Turnbull: three things we need to know about our new prime minister. In: The Guardian. Stand: 29. Oktober 2015. URL: http://www.theguardian.com/australia-news/2015/sep/14/malcolm-turnbull-the-three-things-we-need-to-know-about-the-challenger

[2] vgl. Virilio, P. (1992): Rasender Stillstand: Essay. München, Wien.

[3] Titel eines Dokumentarfilms von Alexander Kluge aus dem Jahre 1985; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Angriff_der_Gegenwart_auf_die_übrige_Zeit

[4] vgl. Eube, A. Können denn eigentlich alle nur noch Smalltalk? In: Die Welt. Stand: 17. Februar 2016. URL: http://www.welt.de/icon/article152267094/Koennen-denn-eigentlich-alle-nur-noch-Smalltalk.html

[5] vgl. Schlesinger, A. (1965): A Thousand Days: John F. Kennedy in the White House. New York.

[6] ibd.

[7] vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Yes_We_Can#.E2.80.9EYes_We_Scan.E2.80.9C

[8] vgl. Galloway, G. (2013): The 39 Deaths of Adam Strand. New York.

[9] vgl. Sharkey, L. Revealed: Nike’s ‘Just Do It’ slogan was inspired by a convicted killer’s last words. In: The Independent. Stand: 6. April 2016. URL: http://www.independent.co.uk/life-style/fashion/news/nike-s-just-do-it-slogan-was-inspired-by-a-convicted-killer-s-last-words-10117596.html

[10] vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Duck_and_cover

[11] vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sie_leben

[12] vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Don%27t_be_evil