Gruppendenken lauert überall, wo Menschen gemeinsam Entscheidungen treffen. Mit welchen Techniken lässt sich verhindern, dass Konformismus ins Chaos führt? Symbolbild Sport.

Wie kommt es, dass Entscheidungsprozesse trotz Beteiligung intelligenter und erfahrener Menschen immer wieder mit einem Fiasko enden? Und mit welchen Techniken lässt sich das verhindern?

Rund ein Jahrzehnt nach der einträglichen Idee, als Erster bei dem damals noch kleinen Start-up „Facebook“ einzusteigen, gewährte der inzwischen weltweit bekannte Investor Peter Thiel Unternehmern auf einer Technologiekonferenz im Silicon Valley einen Einblick in seine Arbeitsmethode: „Ich bitte Menschen, mir etwas Wahres zu erzählen, mit dem niemand einverstanden ist.“ [1] Nach einer eleganteren Umschreibung für das Aufspüren von Marktlücken und -chancen wird man lange suchen müssen.

Entscheidungsfindungen in Politik, Organisationen und Unternehmen laufen mit schöner Regelmäßigkeit diametral entgegengesetzt dazu ab: Beteiligte erklären sich mit etwas einverstanden, das irrtümlich für wahr gehalten wird. Bis der Realitätstest den Fehler ans Licht treten lässt.

Ahnungslosigkeit ist keine Voraussetzung für Fehlentscheidungen. Eine Gruppe kann über ein beträchtliches Know-how verfügen – so viel wie ausreichend wäre, um besser zu entscheiden – und trotzdem grandios scheitern. Weil irgendetwas alle Kenntnisse und Erfahrungen neutralisiert.

Prozessverluste

Im Idealfall sollten sich die verschiedenen Sichten wie Teile eines Puzzles ergänzen und so umfassende Lagebilder und realistische Einschätzungen der gangbaren Wege entstehen lassen. In der Praxis hingegen sorgen Prozessverluste dafür, dass das Ganze meist weniger ist als die Summe seiner Teile. Der Schlüssel zum Verständnis des Phänomens liegt in der Kommunikation. Respektive ihrem Fehlen. So banal die Ursache klingt, so anspruchsvoll ist es, die richtigen Gegenmaßnahmen zu treffen.

Vor der detaillierteren Betrachtung soll zunächst davon ausgegangen werden, dass die gemeinsame Lösungssuche ernsthaft betrieben wird. Dass also nicht bereits im Hinterzimmer entschieden wurde und die Abstimmung rein folkloristischen Zwecken dient. Vokabeln wie „alternativlos“ in Statements gegenüber der Öffentlichkeit lassen daran gelegentlich Zweifel aufkommen.

Gruppendenken

Nicht anzuzweifeln ist die Tatsache, dass das Vermögen von Gruppen, vernünftige Antworten zu finden, nicht nur durch gezielte Manipulation außer Kraft gesetzt werden kann, sondern gleichfalls ungewollt und unbemerkt.

1972 lieferte Irving Janis eine Analyse realer Fälle kollektiven Versagens [2]. Einer von ihnen war die Invasion in der kubanischen Schweinebucht von 1961. Die untaugliche Strategie des CIA, die den Sturz Fidel Castros herbeiführen sollte, kostete damals, weil sie vom Beraterstab des US-Präsidenten unwidersprochen blieb, knapp 300 Menschenleben.

Der Psychologe führte das Scheitern John F. Kennedys und seiner Berater auf das von ihm erstmals erforschte „Gruppendenken“ (Groupthink) zurück. Dieser Denkmodus bringt gemäß Janis ursprünglicher Definition die Suche nach Handlungsalternativen durch ein zu stark ausgeprägtes Streben nach Einmütigkeit zum Erliegen.

Anpassungsdruck

Das Auftreten von Gruppendenken wird von zahlreichen Faktoren begünstigt. Extremer Zeit- oder Erfolgsdruck kann auf die Bereitschaft wirken, Fakten offen auf den Tisch zu legen. Der Wunsch, schnell und einvernehmlich zu einer Einigung zu kommen, erzeugt leicht ein Klima, in dem Kritik zugunsten der Harmonie eher zurückgehalten wird.

Neben der Schere im Kopf kann Gruppendenken sich in der aktiven Druckausübung äußern. Am Rande von Sitzungen wird mit Verweis auf die Dringlichkeit und Notwendigkeit der Geschlossenheit häufig versucht, Abweichler auf Linie zu bringen.

So geschehen 1961 in Washington. Und auch heutzutage lassen Begriffe aus dem politischen Betrieb wie „Fraktionszwang“ oder „Mehrheiten organisieren“ erahnen, was alles im Geheimen geschieht, damit sich eigentlich allein dem eigenen Gewissen verpflichtete Volksvertreter wie geölte Rädchen in ein Uhrwerk fügen.

Risiko Abschottung

Bemühungen um Geheimhaltung verhalten sich im Allgemeinen proportional zur Bedeutsamkeit einer Entscheidung. Was tendenziell zur Abschottung führt. Abgeschlossen gegen äußere Einflüsse steigt die Gefahr, die Lage falsch einzuschätzen, da Menschen in der Gruppe eine höhere Risikobereitschaft zeigen und sich Überlegenheitsgefühle einstellen.

Irving Janis machte überzogenen Optimismus hinsichtlich der Erfolgsaussichten als ein Symptom von Gruppendenken aus. Ebenfalls können Auffassungen bezüglich der Legitimität oder Moralität des eigenen Handelns in Mitleidenschaft gezogen werden.

Und wer will sich durch das Hinweisen auf Gefahren oder Skrupel als Hasenfuß bloßstellen, während der Rest der Gruppe fernab der Realität wandelt, so als sei man dem berühmten literarischen Kaninchen in den Bau hinterher gesprungen?

Majoritäteneinfluss und Konformität

Es ist nicht einmal weit hergeholt, den Majoritäteneinfluss auf das Denken und Handeln mit der Wirkung halluzinogener Substanzen zu vergleichen. Man muss sich nur Solomon Aschs Studien zur Konformität aus dem Jahre 1951 vergegenwärtigen [3].

Asch stellte Probanden die Aufgabe, die Länge von Linien zu beurteilen. In signifikantem Maße ließen diese sich dazu hinreißen, die offensichtlich falschen Angaben einer Mehrheit – bestehend aus eingeweihten Komplizen des Experimentators – zu übernehmen. Verzerrte Wahrnehmung?

Spätere Varianten des Experiments zeigten, dass Probanden ihre zutreffenden Annahmen Aufrecht halten, wenn man ihnen wenigstens eine Person – quasi als Verbündeten – zur Seite stellt.

Des Teufels Advokat

Im Alltag kann man diese Einsicht nutzen. Ein Ansatz: Man lässt ein Gruppenmitglied in der Rolle des Advocatus Diaboli aus Prinzip eine divergierende Position einnehmen. Das zwingt die übrigen Mitglieder, ihre Gründe genauer darzulegen.

Besonders hilfreich auch im Falle der Dominanz eines Individuums oder der mangelnden Objektivität des Vorsitzenden: Denjenigen, die die Mehrheitsmeinung nicht teilen, fällt es so leichter, sich zu offenbaren und ansonsten unter den Tisch fallende Argumente vorzutragen.

Doch was, wenn es an Vorschlägen oder überhaupt an Wortmeldungen mangelt, weil niemand sich exponieren will? Dann kann genauso eine vorher festgelegte Rolle – die des Provokateurs – helfen, ein Beamtenmikado zu beenden und fruchtbare Diskussionen zu initialisieren.

Jasager und des Kaisers neue Kleider

Um die Bedingungen für sinnvolle Beiträge zu verbessern, empfiehlt sich eine möglichst gemischte Zusammenstellung von Teams – fachlich und in Bezug auf die Charaktere. Dumm nur, dass viele Führungskräfte sich bevorzugt mit Menschen umgeben, die ihnen ähneln. Über lauter gleichförmige Vorschläge darf man sich dann nicht beschweren.

Stattdessen kann es sich auszahlen, Personen ins Team zu holen, die aufgrund ihrer Qualifikation nicht die erste Wahl sind. Zuweilen hilft eine Prise Naivität, um zu erkennen, dass des Kaisers neue Kleider nichts anderes sind als ein Adamskostüm. Ausschließlich auf Experten zu setzen, ist nämlich eine Form selektiver Wahrnehmung. Aus Kostengründen oder Selbstüberschätzung ganz auf sie zu verzichten, kann sich ebenso als schwerer Fehler erweisen.

Aufbruch der Gruppenkohäsion, wechselnde Konstellationen

Von Konfuzius stammt der Satz: „Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“ Das Schweinebucht-Fiasko war in diesem Sinne womöglich ein Segen. Es veranlasste Kennedy – rechtzeitig vor der Kubakrise, die die Welt an den Rand eines Atomkriegs führte – zu einer grundsätzlich anderen Vorgehensweise. Zu den Änderungen zählte, dass externe Fachleute eingeladen wurden, die von allen ausgiebig befragt werden konnten.

Des Weiteren achtete man darauf, die Kohäsion der Gruppe zu durchbrechen. Hierzu wurden Untergruppen gebildet und die Mitglieder außerdem ermutigt, mit Vertrauten innerhalb ihrer eigenen Abteilungen zu diskutieren. Letzteres stößt aus naheliegenden Gründen bei kleineren Unternehmen mit knappen personellen Ressourcen rasch an Grenzen. Tatsächlich kann man auch hier störende Routinen abstellen, die daraus resultieren, dass die Akteure ohnehin ständig miteinander zu tun haben. Zum Beispiel durch einen temporären Ortswechsel.

Fazit

In den Jahren nach Irving Janis einflussreicher Veröffentlichung wurde eine Vielzahl von Ereignissen (Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, Explosion des Challenger-Spaceshuttles, Golfkrieg von 2003 u. v. a. m.) mit den von ihm beschriebenen Mechanismen in Verbindung gebracht und Gruppendenken als ubiquitäres Phänomen erkannt.

Durch Konformismus, so formulierte es der amerikanische Schriftsteller Charles Warner 1870, werden wir halb zu Grunde gerichtet. Ohne ihn, so gab Warner gleichzeitig zu bedenken, wären wir vollständig ruiniert. Mit den richtigen Maßnahmen sind die Risiken jedenfalls gut zu beherrschen. Dazu gehört unter anderem eine sorgfältige Team-Zusammenstellung und Steuerung des Gruppenprozesses, die Gewährleistung einer lebendigen und offenen Diskussion entlang des gesamten Verfahrens, das Einbeziehen externen Know-hows und ein Plan B (dessen Ausarbeitung ist ein beruhigendes Indiz für das Wissen um die eigene Fehlbarkeit).

Entscheidungen macht derlei Achtsamkeit nicht unbedingt schneller – und Zeit ist Geld. Aber das ist der Preis, den man zu zahlen bereit sein muss, will man nicht auf der Basis von Halbwissen falsch entscheiden. Unausgegorenes ist im Zweifelsfall teurer.

Quellen:

[1] Peter Thiel’s Advice To Entrepreneurs: Tell Me Something That’s True But Nobody Agrees With. In: Forbes. Stand: 27. Februar 2014. URL: http://www.forbes.com/sites/roberthof/2014/02/27/peter-thiels-advice-to-entrepreneurs-tell-me-something-thats-true-but-nobody-agrees-with/

[2] vgl. Janis, I. (1972): Victims of Groupthink: A Psychological Study of Foreign-Policy Decisions and Fiascoes. Boston.

[3] vgl. Asch, S. E. (1951): Effects of group pressure upon the modification and distortion of judgment. In: H. Guetzkow (ed.) Groups, leadership and men. Pittsburgh.