Schaffen wir mittels Wissenschaft den Sprung aus Platons Höhle und erlangen Antworten auf die letzten Fragen zu Universum, Materie und uns selbst? Oder ist das prinzipiell unmöglich?

Unser Wissen um die Geheimnisse von Materie und Universum nimmt praktisch täglich zu. Bringt uns das aber auch der Beantwortung der letzten, entscheidenden Fragen näher oder entziehen sich diese für immer einer Klärung? Anmerkungen zum Versuch, alles zu verstehen, um am Schluss vielleicht vor dem Nichts zu stehen.

Alles, was wir sehen und zu sein scheinen, nannte Edgar Allan Poe einmal einen Traum innerhalb von einem Traum [1]. Paradoxerweise eröffnet seine – wenngleich als Frage formulierte – Absage an eine verlässliche, beständige und sinnlich, dinglich erfahrbare Welt einen Hinterausgang: Wie in Platons Höhlengleichnis scheint der Ausbruch – respektive das Erwachen – durch das Entlarven der Welt als Trugbild prinzipiell möglich. Vorausgesetzt, dass nicht Erkenntnisfähigkeit nur ein Teil der Illusion ist.

Poes Zeilen besitzen freilich nur ästhetische und keine wissenschaftlich-ontologische Aussagekraft. Das trifft gleichermaßen auf seine weniger bekannte, 1848 veröffentlichte Kosmogonie zu, in der er seine Bemühungen münden ließ, sich einen Reim auf Ursprung und Schicksal des Universums zu machen – in Versform und in der Überzeugung, man würde „Eureka“ eines fernen Tages würdigen. Was zum Glück nicht wie von ihm befürchtet zweitausend Jahre dauerte. Schon den 31 Jahre hiernach geborenen Albert Einstein beeindruckten Poes Überlegungen zum Urknall, zur Expansion des Universums und der Möglichkeit seines erneuten Zusammenstürzens [2].

Geniale Einzelleistungen

Poes Bedeutung als Schriftsteller, der gleich eine Reihe von Genres maßgeblich geprägt hat, lässt sich übrigens gut mit der von Einstein für die Wissenschaft vergleichen. Ein Monument zu Poes Ehren, so hat es Arthur Conan Doyle einst behauptet, käme, sofern jeder Autor ein Zehntel seiner Honorare für von ihm inspirierte Werke hergäbe, auf die Größe der Cheops-Pyramide [3]. Und über Einsteins Werk wiederum sagte Niels Bohr, es habe den Horizont der Menschheit unendlich erweitert und unserem Bild vom Universum eine Geschlossenheit und Harmonie gegeben, von der man vormals nur träumen konnte [4].

Unterdessen ist das goldene Zeitalter genialer Einzelleistungen wohl vorbei. Statt einsam im Studierzimmer wird heutzutage in global vernetzten Teams gearbeitet – mit ein Grund für die regelrechte Wissensexplosion. Bloß hat uns das den letzten Gründen bislang nicht wirklich näher gebracht.

Löchrige Beweise

Um letzte Gewissheit zu erlangen, hat man sich in früheren Epochen gelegentlich an Gottesbeweisen abgearbeitet. Eine besonders simple Variante geht so: Gott wird als ein ideales Wesen gedacht. Man darf annehmen, dass zum Katalog der Eigenschaften eines idealen Wesens gehört, dass es existiert. Ergo existiert Gott!

Leider ist diese Ableitung äußerst löchrig. Dem Vorhandensein den Vorzug zu geben, ist eine rein anthropozentrische Setzung. Falls Gott nur eine menschliche Erfindung ist, wird man diese ohnehin großteils auf die Unerträglichkeit der Vorstellung vom Nichts zurückführen müssen. In ähnlicher Weise wie die aristotelische Physik dies von der gesamten Natur annahm – heute bekannt als horror vacui –, sind wir scheinbar gezwungen, Leere stets mit irgendetwas auszufüllen.

Aus Leere gemacht

Doch es kommt noch schlimmer: Sobald wir uns vor Augen führen, wie wenig wir das Nichts als epistemisch unzugängliches, absolutes Nichtvorhandensein von etwas begreifen können, fällt der vermeintliche Beweis unweigerlich in sich zusammen.

Wie einfach muss es gewesen sein, als man an so etwas beruhigend dingliches wie ein aus Sphären aufgebautes Himmelsgewölbe glaubte. Unsere fortgeschrittenen Modelle von Materie und Universum lassen sich mit Alltagserfahrungen kaum in Einklang bringen.

Nehmen wir zum Beispiel den Aufbau der Atome: Vergrößert man gedanklich das Proton eines Wasserstoffatoms auf die Größe eines Tennisballs, dann bewegt sich sein zugehöriges Elektron – seine Abmessungen entsprechen in diesem Fall denen eines Stecknadelkopfes – in einen Raum mit dem Umfang eines Sportstadions. Was uns im Alltag solide und zusammenhängend vorkommt, ist somit im Wesentlichen aus Leere gemacht.

Verloren in der Leere

Was aber ist Leere? Ist sie nur ein philosophisches Konstrukt? Davon unterschieden wird der leere Raum in der Physik, der zwar frei von Materie sein kann, in dem nach der Quantenfeldtheorie allerdings ständig virtuelle Teilchen – quasi ex nihilo, geschaffen aus dem Nichts – entstehen und wieder vergehen.

All dies erinnert an Michelangelo Antonionis Spielfilm „Blow Up“ aus dem Jahre 1966, der von dem Versuch handelt, mithilfe des Vergrößerns von zufällig in einem Park aufgenommenen Fotos einem Mord auf die Spur zu kommen [5]. Was vielversprechend beginnt, stößt schnell an fotomechanische Grenzen; das Abbild des Ereignisses verliert sich schrittweise in der abstrakten Leere des Filmkorns.

Unüberwindbare Grenze

Zum Tennisball von eben passt das pantomimische Tennismatch, das Antonioni gegen Ende des Films veranstaltet. Die Akteure jagen hierbei dem imaginären Ball unweit der Stelle des Parks hinterher, an der offenbar der Mord stattfand. Oder etwa nicht? Die wenigen Indizien gehen bei einem Einbruch in das Atelier des von David Hemmings kongenial verkörperten Modefotografen Thomas verloren. Und auch die Leiche verschwindet schließlich spurlos. Realität oder Hirngespinst? Der Übergang ist fließend.

Jede Menge Spuren hinterlassen hat demgegenüber, wer oder was für die Entstehung des Universums verantwortlich ist. Die Rekonstruktion bis an den Rand der Singularität, aus der nach der Urknalltheorie vor bald 14 Milliarden Jahren alles entstanden ist, gelingt immer besser. Sie gilt jedoch als unüberwindbare Grenze der Erkenntnis, indem Materie, Raum und Zeit in ihr die Ursache haben sollen. Die Frage nach einem Zeitpunkt davor oder einem räumlichen Jenseits ist daher gegenstandslos.

Alles und nichts

Einerseits klingt das vollkommen logisch, andererseits hilft es nicht im Geringsten dabei, sich das Ganze – beziehungsweise das Nichts aus maximal verdichteter Energie – konkret vorzustellen.

Eine verblüffend einfache Lösung hat Kurt Vonnegut in seinen Roman „Breakfast of Champions“ beschrieben [6]. Vielleicht hat er tatsächlich recht und die Gesamtheit allen Seins ist das kunstvoll verdrehte Nichts: Man nehme die Zahl Null, verknote sie zur acht und lege sie auf die Seite – voilà, das Symbol für Unendlichkeit! Zugegebenermaßen ist das nur ein Taschenspielertrick, also lieber zurück zu ernsteren Themen …

Ultimatives Menschheitsabenteuer

Es muss kein Zufall sein, dass eines unserer mittlerweile wichtigsten Werkzeuge bei der Suche nach Antworten auf dem Alles-oder-Nichts-Prinzip von Nullen und Einsen basiert. Und ausgerechnet die abstrus anmutenden Phänomene der Quantenmechanik, zu denen auch die von Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ [7] bezeichnete Quantenverschränkung zählt, könnten eines Tages die Computertechnologie mit 100 Millionen mal schnelleren Prozessoren in bisher ungekanntem Maße revolutionieren und ganz nebenbei sogar die Schutzfunktion der ausgefeiltesten Datenverschlüsselungen, die in der gegenwärtig benötigten Rechenzeit besteht, zunichte machen.

Könnten Quantencomputer uns am Ende auch bei der Entschlüsselung der Geheimnisse unserer Herkunft, unseres kosmischen Schicksals und des Aufbaus von Materie und Universum helfen?

Was zum ultimativen Menschheitsabenteuer zu werden verspricht, führt schlimmstenfalls dazu, dass wir uns lediglich selbst begegnen. Weil es Sinn, wie wir ihn als Spezies hinter allem zu suchen genötigt sind, womöglich nur gibt, wenn wir ihn den Dingen künstlich verleihen.

Quellen:

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/A_Dream_Within_a_Dream

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Eureka:_A_Prose_Poem

[3] https://www.arthur-conan-doyle.com/index.php?title=Through_the_Magic_Door#Chapter_VI

[4] https://de.wikiquote.org/wiki/Niels_Bohr#Zitate_mit_Quellenangabe

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Blow_Up

[6] Vonnegut, K. (1973): Breakfast of Champions. New York, S. 206.

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Quantenverschränkung