Illustration des RGBMAG-Beitrags Obsoleszenz und die Sollbruchstellen im Kopf

Es ist nicht ganz klar, ob Bernard London den Begriff „geplante Obsoleszenz“ erfunden oder übernommen hat. Jedenfalls glaubte der New Yorker Immobilienmakler inmitten der Weltwirtschaftskrise die Lösung zu ihrer Bekämpfung und zur Vermeidung künftiger Krisen gefunden zu haben. Im Grunde sieht sein Konzept vor, Verbraucher nach Ablauf einer vorgegebenen Nutzungsdauer zur Herausgabe ihrer Produkte an eine staatliche Behörde zu zwingen. Bis dato seien Kleidung, Autos, Radios und so weiter viel länger als von Statistikern vorausgesagt genutzt worden, moniert er in seinem Aufsatz „Ending the Depression Through Planned Obsolescence“ aus dem Jahr 1932 [1]. Stattdessen sollte die Nachfrage künftig genauestens geplant und die erlaubte Nutzungsdauer von Waren an die Beschäftigungssituation gekoppelt werden.

Die Ergebnisse der jüngsten Obsoleszenz-Studie des Öko-Instituts hätten London vermutlich gut gefallen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich die Nutzungsdauer von Elektro- und Elektronikgeräten allgemein verkürzt [2]. Ist der Grund aber wirklich in den berüchtigten Sollbruchstellen zu suchen, an die viele Menschen beim Stichwort Obsoleszenz automatisch denken? Webangebote wie „Murks – nein danke!“ [3] kennen durchaus beeindruckende Beispiele für Produktmängel, die den Verantwortlichen unmöglich durchgerutscht sein können. Allerdings lassen sich allein hiermit die riesigen Berge aus exportiertem Elektronikmüll nicht erklären, die in Ländern wie Ghana Flüsse und Böden verseuchen.

Konsum als erste Bürgerpflicht

Offenbar müssen die wahren Sollbruchstellen vieler Produkte woanders gesucht werden. Rainer Grießhammer, Senior Adviser und bis vor Kurzem Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts, glaubt sie im Kopf der Verbraucher entdeckt zu haben. Dort würden sie das Denken abstellen und bewirken, dass Funktionierendes ausgetauscht wird, „wenn das neue Produkt nur genug blinkt, billig ist und der Nachbar es noch nicht hat“ [4].

Der Gedanke erinnert an den ebenfalls 1932 erschienenen Roman „Brave New World“. Aldous Huxley beschreibt darin eine Gesellschaft, in der die von Bernard London angestrebte Stabilität durch geplante Obsoleszenz Realität ist. Perfekt haben die Bürger die Idee verinnerlicht, dass Konsum erste Bürgerpflicht beziehungsweise Konsumverzicht eine Form von Subversion ist. Freilich handelt es sich bei ihnen um konditionierte Klone …

Lücke zwischen Anspruch und Handeln

Tatsächlich muss man bei der Manipulation der Verbraucher gar nicht so weit gehen. Viele von ihnen würden sich einzig aus Lifestyle-Gründen neue Geräte kaufen, kommentierte Projektleiter Siddharth Prakash die Obsoleszenz-Studie des Öko-Instituts [5]. So gesehen darf man sich nicht beschweren, wenn Langlebigkeit nicht unbedingt zu den obersten Entwicklungszielen der Hersteller zählt.

Ziemlich paradox wirkt vor diesem Hintergrund eine Meldung der Deutschen Gesellschaft für Qualität e. V. (DGQ): Für die Mehrheit der Verbraucher (79 Prozent) sei eine lange Lebensdauer von Produkten ein ausschlaggebendes Qualitätskriterium, so das Resultat einer Umfrage [6]. Zudem sei der Produktnutzen wichtiger als der Markenname oder das Design.

Anscheinend haben wir es hier mit einer ähnlichen Lücke zwischen Anspruch und Handeln zu tun, die Stadtbewohner auf der Suche nach Erholung in der Natur in tonnenschwere SUVs steigen lässt. Zum Glück werden Autos indessen laufend umweltfreundlicher – genau wie Elektrogeräte –, weswegen es sinnvoll ist, alle Produkte schnellstmöglich durch die jeweils neueste Generation zu ersetzen. Oder etwa nicht?!

Verlässliche Mindestlebensdauer

„Aus ökologischer Sicht lohnt es mit wenigen Ausnahmen immer, defekte Haushaltsgeräte reparieren zu lassen und sie so lange wie möglich zu nutzen“, schreibt das Öko-Institut in einer Pressemitteilung [7]. Das spare Energie und Ressourcen, die für die aufwändige Herstellung von neuen Produkten erforderlich sind, so die Begründung.

Einen Schritt weiter geht Siddharth Prakash mit seinen Forderungen: Produkte und Komponenten sollten eine verlässliche Mindestlebensdauer aufweisen. Außerdem seien seiner Meinung nach Mindestvorgaben für die Vorhaltung von Ersatzteilen und Werkzeugen sowie für die Auswechselbarkeit oder Reparierbarkeit von Verschleißteilen notwendig [8]. Selbst das ist übrigens eine Variante der geplanten Obsoleszenz, denn hierunter versteht man nicht ausschließlich die Verkürzung der Lebensdauer; davon war im Zusammenhang mit den Plänen Bernard Londons schon andeutungsweise die Rede. Doch irgendwann ist sogar die längste Zeit um – und was geschieht dann mit dem endgültig defekten Produkt und seinen häufig umweltgefährdenden Bestandteilen?

Ein völlig anderes Produktdesign

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat kürzlich darauf hingewiesen, dass sich der industrielle Bedarf an Rohstoffen durch eine konsequente Kreislaufwirtschaft um bis zu 99 Prozent reduzieren ließe. Klimaschädigende Emissionen könnten hierdurch gleichfalls und in ähnlichem Umfang gesenkt werden. Die Forschungsergebnisse bewiesen, dass man gleichzeitig die Umwelt schützen und das Wirtschaftswachstum aufrecht erhalten kann, erklärte der Vorsitzende des UNEP, Erik Solheim [9].

Beim Öko-Institut ist man ebenso der Auffassung, dass eine stärkere Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen, die die Kreislaufwirtschaft unterstützen, Wachstumschancen eröffnen kann [10]. Den Ausgangspunkt dafür bildet unter anderem ein völlig anderes Produktdesign, das gewissermaßen vom Ende her gedacht wird. Dazu das Öko-Institut: „Die Kreislaufwirtschaft beginnt bereits am Anfang des Lebenszyklus eines Produkts, durch eine bessere Produktgestaltung können wertvolle Ressourcen eingespart werden.“ [11]

Unser großes Vorbild

In gewisser Weise nähern wir uns erneut dem Ansatz von Bernard London, indem Produkte zum Schluss nicht irgendwo unkontrolliert landen, sondern planmäßig zurückgenommen werden. Diesmal jedoch nicht mit dem kurzsichtigen, mit der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen einhergehenden Ziel ihres Verbrauchens. Vielmehr geht es um die Annäherung an unser großes Vorbild: Die Natur kennt keinen Müll, alles wird als Teil eines ewigen Kreislaufs des Lebens stofflich umgewandelt und weiterverwendet.

Auch wir Menschen sind nicht dazu verdammt, Fernseher, Waschmaschinen oder Autos zu verbrauchen. Wenn wir uns als Nutzer begreifen und industrielle Stoffkreisläufe in Anlehnung an natürliche Nährstoffkreisläufe organisieren würden, wären nach Ansicht des Chemikers und Verfahrenstechnikers Michael Braungart nicht einmal Einschränkungen oder Konsumverzicht nötig [12]. Materialien ließen sich im Gegenteil so gestalten, „dass sie ohne Wertverlust in Kreisläufe gehen und die Menschen sie daher verschwenderisch nutzen können“, ist sich der Entwickler des Kreislaufwirtschaftssystems „Cradle to Cradle“ sicher [13].

Quellen:

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Bernard_London

[2] https://www.oeko.de/e-paper/obsoleszenz-ursachen-auswirkungen-strategien/artikel/eine-gesamtgesellschaftliche-aufgabe/

[3] http://www.murks-nein-danke.de

[4] https://www.oeko.de/e-paper/obsoleszenz-ursachen-auswirkungen-strategien/artikel/von-legenden-und-ihrer-wissenschaftlichen-ueberpruefung/

[5] s. [2]

[6] https://www.presseportal.de/pm/66703/4109418

[7] https://www.oeko.de/presse/archiv-pressemeldungen/2018/reparieren-oder-neu-kaufen-zahlen-und-fakten-fuer-langlebige-haushaltsgeraete/

[8] s. [2]

[9] https://www.unenvironment.org/news-and-stories/press-release/re-thinking-production-boost-circular-economies

[10] https://www.oeko.de/e-paper/obsoleszenz-ursachen-auswirkungen-strategien/artikel/wider-die-wegwerfgesellschaft/

[11] ebd.

[12] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2008/mythos-leistung/abfall-ist-nahrung

[13] ebd.

 

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Sustainability, Nachhaltigkeit, Umwelt