Symbolbild zum RGBMAG-Artikel Zukunftsprognosen: Warten auf den Weltfrieden

Nach Allen Saunders definiert man Leben als das, was passiert, während man andere Pläne macht [1]. Demnach wären Zukunftsprognosen sinnlos. Nichtsdestoweniger beschäftigt sich die Menschheit pausenlos mit ihnen, was auch einigermaßen gut funktioniert – zumindest so lange sich nichts Wesentliches ändert. Wann immer das geschieht, wächst der Fundus prominenter Fehleinschätzungen.

Im September 2008 zum Beispiel bewertete Peer Steinbrück die Finanzmarktkrise bekanntlich als ein primär amerikanisches Problem [2] und verstieg sich gleichzeitig zu der Prognose, die USA würden durch sie ihren Status als „Supermacht des Weltfinanzsystems“ verlieren [3]. Obschon Letzteres wahrscheinlich eines Tages geschehen wird, lag er mit beiden Aussagen völlig falsch, weil er offenbar in einer für einen Bundesfinanzminister fragwürdigen Weise die Verflechtungen der globalen Finanzmärkte nur unzureichend verstanden hatte.

Imitation der Kunst

Problemlos ließen sich Bücherregale mit ähnlich missglückten Zukunftsprognosen füllen, was die einzelnen Peinlichkeiten mildert. Zudem darf man – um ein Zitat aus James Camerons Kultfilm „The Terminator“ zu bemühen – davon ausgehen, dass in 100 Jahren kein Hahn mehr danach krähen wird. Bezogen auf jene ausnehmend trostlose Zukunftsvision Camerons ist das durchaus wörtlich zu nehmen. Sie sieht für das Jahr 2029 einen durch künstliche Intelligenz angezettelten Atomkrieg vor sowie die anschließende Jagd von Kampfrobotern auf die wenigen Überlebenden.

Eingedenk der Fortschritte bei autonomen Waffensystemen und des Unvermögens der Staatengemeinschaft, sie geschlossen zu ächten [4], möchte man hoffen, dass das Leben in diesem Fall nicht die Kunst imitiert, auch wenn man laut Oscar Wilde damit rechnen muss [5].

Ein gigantisches Geschäft

Dabei sollten wir längst weiter sein. Ginge es nach Bertha von Suttner, wäre mittlerweile der Weltfrieden verwirklicht. In „Der Frieden in 100 Jahren“ beschreibt sie die Menschen des Jahres 2009 als vernünftig genug, um einzusehen, dass weitere Kriege auf einen Doppelselbstmord hinauslaufen würden.

Ob sich der utopische Aufsatz weniger optimistisch ausnähme, wenn die bereits im Juni 1914 verstorbene Friedensnobelpreisträgerin zuvor den internationalen Vernichtungskrieg miterlebt hätte, vor dem sie ab 1912 zu warnen begann, lässt sich nur vermuten. Dass sich die Wirklichkeit von ihrer Zukunftsvision so gründlich unterscheidet, könnte jedenfalls daran liegen, dass sie eine wichtige Ursache für das nie enden wollende Töten übersehen hat: es ist ein gigantisches Geschäft. Womit wir wieder bei den globalen Finanzmärkten wären …

Eine zeitlose Antwort

Erschienen ist Suttners „Der Frieden in 100 Jahren“ übrigens in der inzwischen neu aufgelegten Anthologie „Die Welt in 100 Jahren“ des Journalisten Arthur Brehmer. Brehmer gelang es seinerzeit, viele weitere herausragende Autoren zu gewinnen. Aus heutiger Sicht verblüffen sie zum Teil mit äußerst treffsicheren Zukunftsprognosen. Unter anderem wird hier praktisch das Mobiltelefon vorweggenommen, große Flotten von Luftschiffen werden beschrieben – sieben Jahre nach dem erfolgreichen ersten Motorflug der Gebrüder Wright – und mit etwas gutem Willen das Internet.

Nicht zuletzt aber liefert „Die Welt in 100 Jahren“ Jahrzehnte vor der Einführung des Begriffs „Futurologie“ durch Ossip K. Flechtheim [6] und der Entwicklung der Zukunftsforschung eine zeitlose Antwort auf die Frage, was sich grundsätzlich prophezeien lässt: „Es gibt mancherlei, was wir trotz unserer Unzulänglichkeit bis zu einem gewissen Grade sicher voraussagen können. Man kann zum Beispiel sicher vorhersagen, daß das menschliche Vorwärtsstreben von jetzt ab weit schneller von statten gehen wird, als es jemals bisher der Fall gewesen ist“, heißt es in dem Beitrag des Chemikers und Investors Hudson Maxim für Arthur Brehmers Anthologie.

A. Brehmer (Hg.)
Die Welt in 100 Jahren
Mit einem einführenden Essay „Zukunft von gestern“ von Georg Ruppelt.
Nachdruck d. Ausg. Berlin 1910. Sondereinband, 319 Seiten.
Georg Olms Verlag. ISBN 978-3-487-08304-9
€ 19,80

Weitere Informationen:
http://www.olms.de/search/Detail.aspx?pr=6635

Quellen:

[1] Weltbekannt wurde Saunders Bonmot durch die Verarbeitung in einem Song von John Lennon; vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Beautiful_Boy_(Darling_Boy)#Lyrics

[2] http://www.spiegel.de/wirtschaft/finanzkrise-steinbrueck-wirft-usa-massives-versagen-vor-a-580331.html

[3] ebd.

[4] https://www.dw.com/de/keine-einigung-zum-umgang-mit-killerrobotern/a-45313696

[5] „Life imitates Art far more than Art imitates Life“, heißt es in Oscar Wildes Essay „The Decay of Lying“; vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/The_Decay_of_Lying

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Ossip_K._Flechtheim