World Expo 88 – 30 und 200 Jahre danach – Symbolbild zum Artikel, RGBMAG

Wie wird die Welt in zweihundert Jahren aussehen? Diese Frage stellte IBM Australia 1988 im Besucherprogramm zur World Expo 88 [1]. Unter dem Motto „Leisure in the Age of Technology“ bildete die Weltausstellung in Brisbane das Hauptevent von Australiens „Bicentennial Year“ – der 200-Jahr-Feier des Beginns der europäischen Besiedlung. Dazu passend bestand die doppelseitige Anzeige in der linken Hälfte aus der Schwarz-Weiß-Zeichnung einer Dorfansicht aus der Zeit der ersten Siedler, darin ein verträumt dreinblickender Junge mit spartanischen Freizeitutensilien. In scharfem Kontrast dazu zeigte die rechte Hälfte das Farbfoto einer modern gekleideten Personengruppe vor der wandfüllenden Projektion einer Tennis-Übertragung; heute spräche man von „Public Viewing“.

Zu Müßiggang verurteilt

Zwei Bilder, zwischen denen ein riesiger Sprung für die Menschheit liegt. Womit wird man sich am Ende des 22. Jahrhunderts die freie Zeit vertreiben – und wie viel davon wird dem Einzelnen zur Verfügung stehen? Werden Computer und Roboter, die auch in Brisbane zahlreich vertreten waren, künftigen Generationen ein Leben frei von Erwerbsarbeit bescheren? Und wenn ja, werden die Folgen ähnlich sein wie in „Player Piano“, dem Erstlingsroman Kurt Vonneguts von 1952 [2]? Stehen wir also an der Schwelle einer zweigeteilten Welt aus wenigen privilegierten „Maschinendompteuren“ auf der einen Seite und zu Müßiggang verurteilten, spärlich alimentierten Massen auf der anderen Seite, allesamt unzufriedener als ihre zu Mühsal gezwungenen Altvorderen? Fragen über Fragen.

Die World Expo 88 und der ökologische Fußabdruck

Joachim Ringelnatz hat einmal geschrieben, alles „Zukunfterraten“ sei wie gemalter Braten. Insofern ist wahrscheinlich eine ganz andere Frage zielführender: Wie konnte die „Aussie Expo“ ohne Internet und ohne Weitersagen über Social Media zu dem über alle Maßen erfolgreichen Weltereignis werden? Wobei man nicht übersehen darf, dass es internationale Großveranstaltungen wegen der Verlagerung eines Teils der Aufmerksamkeit in die Netzwelt heutzutage mitunter schwerer haben, für Aussteller und Publikum attraktiv zu bleiben.

Als weiterer Unterschied zu 1988 werden die Auswirkungen von Großereignissen auf die Umwelt inzwischen viel kritischer hinterfragt, selbst wenn das die an Megalomanie grenzenden Olympischen Spiele nach wie vor nicht daran hindert, intakte Landschaften unter Beton verschwinden zu lassen. Knapp 16 Millionen Besucher – mehr als doppelt so viele wie ursprünglich erwartet – in die Hauptstadt von Queensland zu befördern, einen großen Teil davon auf Langstreckenflügen, hat ebenfalls zu unserem ökologischen Fußabdruck beigetragen; ein weiteres Wort, welches in den Tagen der World Expo 88 noch niemand kannte.

Klischees und Merkwürdigkeiten

Was aber macht die World Expo 88 im positiven Sinn erinnernswert? Herauszustreichen ist unter anderem die letztmalige Teilnahme der Sowjetunion. Und auch die Bundesrepublik als westdeutscher Teilstaat hatte ihren letzten Auftritt bei einer Weltausstellung. Ihr Pavillon wurde flankiert vom sogenannten „Munich Festhaus“ – nüchtern betrachtet (Wortwitz nicht beabsichtigt) ein reichlich klischeehaftes Beispiel für die Freizeitgestaltung in „Good old Germany“. Schließlich war bis dato das Oktoberfest kein deutschlandweit von Garmisch bis hinauf an die Waterkant – und nicht selten bis zum Erbrechen (Wortwitz beabsichtigt) – kommerziell ausgeschlachtetes Spektakel.

Genauso fragwürdig kommt einem die Idee der deutschen Ausstellungsmacher vor, auf dem Platz vor dem Pavillon eine Fahrzeugausstellung von Mercedes-Benz zu präsentieren – und innen ein Amphibienfahrzeug. Das typische deutsche Freizeitgefährt? Der Begleittext des Besucherprogramms schwärmte von der hervorragenden Eignung für die Landschaften Australiens [3]. Hatte man womöglich aus Versehen die Pläne vertauscht und eigentlich für die Hannover Messe vorgesehene Exponate nach Down Under geliefert? Natürlich muss man fairerweise berücksichtigen, dass Weltausstellungen abgesehen von der Förderung der Völkerverständigung von Anfang an auf das Beleben des Außenhandels zielten – und längst nicht nur der deutsche Pavillon hatte etwas von einem Autohaus …

Happiest place on earth

Jenseits solcher Merkwürdigkeiten fallen einem dennoch genügend Gründe ein, wieso die World Expo 88 sechs Monate lang zum „happiest place on earth“ wurde, wie ihr CEO, Llew Edwards, es formulierte [4]. Da wäre zunächst einmal das architektonische Gesamtkonzept zu nennen. Riesige, weithin sichtbare Zeltdächer verbanden die enorme Vielfalt aus 100 internationalen und regionalen Pavillons in einem faszinierenden und höchst abwechslungsreichen Spiel mit Innen und Außen; eine dem erwähnten Anlass würdige, einmalig festliche Atmosphäre. Ein eigener Freizeitpark mit drei Achterbahnen ergänzte das spektakuläre Ensemble in bester Lage. Nichts erinnerte an das einst heruntergekommene Hafenviertel am Brisbane River. Die gegenüberliegende Skyline von Downtown-Brisbane sorgte schon tagsüber für ein unvergleichliches Panorama. Um wie viel mehr erst nahm der Reiz nach Einbruch der Dunkelheit zu, wenn die vor einem Meer aus Lichtern schwimmende „River Stage“ ihr allabendliches Programm aus nationalen und internationalen Acts, Laser-Shows und Feuerwerken abfeuerte …

Vorgeschmack auf das Smartphone-Zeitalter

Neben den unzähligen kulturellen Highlights, zu denen auch eine sehr beachtliche Skulpturenausstellung zählte, dürfen auch die vielen technologischen Leckerbissen nicht vergessen werden. Eine eigens für die World Expo 88 errichtete Einschienenbahn gewährleistete die rasche Beförderung auf dem mit 40 Hektar zwar nicht eben riesigen, aber ausreichend dimensionierten Gelände, das zur Hälfte als Naherholungsgebiet erhalten geblieben ist. Ein frühes, mit Lichtschrankengitter arbeitendes Touchscreen-Navigationssystem wiederum, bereitgestellt durch Telecom Australia, machte die Orientierung zum Kinderspiel. Außerdem gab sie den durchschnittlich 100.000 Besuchern pro Tag, ohne dass sie es ahnten, einen Vorgeschmack auf das Smartphone-Zeitalter.

Trauriges umweltpolitisches Kapitel

Rückblickend erscheint es ein Stück weit eskapistisch, sich im Rahmen eines derartigen internationalen Forums ausgerechnet mit dem Thema Freizeit zu beschäftigen. Man könnte vermutlich auch von einer gewissen Naivität sprechen. Dieser Denkart verdanken wir viele der dringlichen Menschheitsprobleme, darunter die Vermüllung der Meere. Für den Inselkontinent, dessen Küstenlinie zu den längsten aller Staaten zählt, eine echte Herausforderung; noch dazu hat man mit dem größten Korallenriff der Erde viel zu verlieren. Leider beweist die rückwärtsgewandte Politik der letzten Jahre, dass man den wahren Wert der eigenen Naturschätze offenbar nicht erkannt hat. Mit dem geplanten Ausbau des nur wenige Kilometer vom Great Barrier Reef entfernten Seehafens Abbot Point zum größten Kohlehafen der Welt [5] nimmt man jedenfalls billigend die Naturzerstörung in Kauf; unmittelbar durch die Industrialisierung der Küste und mittelbar über die Versorgung Indiens mit dem klimaschädigenden Energieträger, der bereits in der Vergangenheit das Weltnaturerbe dezimiert hat.

Das Beste aus beiden Welten

Wenn sich die Zukunft auch nicht vorhersagen lässt, darf man zumindest Wünsche äußern. Etwa, dass es der Nachwelt besser gelingt, Prioritäten zu setzen und die Technik in den Dienst von Mensch und Natur zu stellen. Australien wäre geradezu prädestiniert, um hier in Führung zu gehen. Immerhin verfügt das Land über ein absolut einzigartiges kulturelles Erbe – das der Aborigines. Über 40.000 Jahre lang trotzten die Ureinwohner allen Umweltveränderungen und lernten mit der Natur und nicht gegen sie zu leben. Ihr als „Traumzeit“ bezeichnetes, komplexes kulturelles System, in dem sich das zum Überleben in der kargen Umwelt notwendige Wissen mit religiös-spiritueller Weltsicht und Mythen und Legenden verbindet, war einer der Themenschwerpunkte im australischen Pavillon bei der World Expo 88. Ein anderer war die Geschichte der Inbesitznahme des fünften Kontinents durch die Weißen. Vielleicht lernen wir eines Tages, das Beste aus beiden Welten für alle Menschen sinnvoll und nutzbringend zu verbinden. Das wäre dann – spätestens 2188 – gewiss eine weitere Weltausstellung wert.

Quellen:

[1] World Expo 88: The Official Souvenir Program. Sydney: Australian Consolidated Press. S. 10 − 11

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Player_Piano_(novel)

[3] s. [1], S. 83

[4] http://www.celebrate88.com/museumsignificance.html

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Abbot_Point