Symbolfoto zum RGBMAG-Artikel: Was ist Geld – und wenn ja, wie viel?

Anmerkungen zu dem unübersehbaren gesellschaftlichen Defizit im Umgang mit Geld und einer lohnenden literarischen Wiederentdeckung: Andreas Eschbachs Roman „Eine Billion Dollar“ aus dem Jahre 2001 (ISBN: 978-3404150403).

Wir müssen reden – und gleichzeitig ein Tabu verletzen. Noch immer beherzigt die Mehrheit der Deutschen offenbar die unsägliche Redewendung: „Über Geld spricht man nicht.“ Das zeigte eine repräsentative, von der Postbank in Auftrag gegebene Umfrage [1]. Schlimmer noch: Nicht einmal mit dem Nachdenken über Geld will es hierzulande so recht klappen. Schließlich wählen die „Spar-Masochisten“, wie FAZ-Redakteur Christian Siedenbiedel die Deutschen nannte [2], mehrheitlich die vermeintlich sichere Lösung: das Geld bleibt auf der Bank liegen, wo es dank Nullzinspolitik und anziehender Inflation seit Jahren mit den Alpengletschern um die Wette schmilzt.

Sprechen müsste man bei der Gelegenheit auch darüber, wieso die Deutschen es ausländischen Investoren überlassen, Jahr für Jahr die Früchte ihrer Kreativität und ihres Fleißes in Form von lukrativen Dividenden einzusammeln, statt selbst davon zu profitieren …

Chancengerechtigkeit?

Dabei sollten wenigstens die Jüngeren ihre Chancen nutzen. Sie verfügen über das, was beim Vermögensaufbau unbezahlbar ist: viel Zeit. Leider entlässt unser Bildungssystem, um es pointiert auszudrücken, jedes Jahr Zigtausende in die ökonomische Unmündigkeit: Die einfachsten Basics aus dem Wirtschaftsleben finden an den Schulen schlechthin nicht statt.

Dem Nachwuchs ist das informationelle Defizit übrigens sehr wohl bewusst, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Schufa ergab: Gerade einmal acht Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 25 beurteilen ihre Finanzkompetenz als gut bis sehr gut [3]. Wohl dem, der aus einem der wenigen Elternhäuser kommt, die dieses Defizit kompensieren können. Doch was für ein Gesellschaftsmodell ergibt sich daraus? Was ist mit der seit Jahrzehnten in Wahlkampfreden beschworenen Chancengerechtigkeit?

Stallhasen

Man muss freilich nicht gleich so weit gehen wie Roland Tichy, der im Zusammenhang mit dem Thema Bargeld-Abschaffung von einem Volk von Stallhasen sprach, in das die Politik die Bürger am liebsten verwandeln würde [4]. Was Erinnerungen weckt an den alten Aphorismus vom König, der mit dem Priester tuschelt: „Halte du sie dumm, ich halte sie arm!“

Wie viel demokratischer ist es da, Menschen in die Lage zu versetzen, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können. Womit wir mitten bei der Quintessenz einer lohnenden literarischen Wiederentdeckung aus dem Jahre 2001 wären. Es geht um den Roman „Eine Billion Dollar“ von Andreas Eschbach.

Der reichste Mensch aller Zeiten

Um nicht sämtliche „Spoiler-Alarmsirenen“ aufheulen zu lassen, sei hier lediglich holzschnittartig dargestellt, was den Rahmen der Handlung bildet: eine gleichermaßen irrwitzige wie genial konstruierte „Rags to riches“-Geschichte. In ihr wird verhandelt, wie der Protagonist, John Salvatore Fontanelli, zufällig aus seinem ärmlichen Leben als New Yorker Pizzafahrer herausgegriffen und mittels einer mysteriösen Erbschaft zum mit weiten Abstand reichsten Menschen aller Zeiten gemacht wird – eine Billion Dollar schwer. Oder anders ausgedrückt: eine Million Millionen bzw. tausend Milliarden. Oder in der amerikanischen Zählweise: „one trillion“.

Gewaltige Summen

Vielleicht weil diese Zahl so speziell ist – die meisten Menschen wären wahrscheinlich überfordert, sie aus dem Stegreif auszuschreiben – entschied man sich für die ungewöhnliche Ausgestaltung der Seitenzahlen des Romans: sie sind in Milliarden angegeben, vielen sind als Einordnung zusätzlich Statistiken angefügt.

Zu Beginn muss auch Fontanelli erst lernen, die Dimension des Erbes zu begreifen. Quell des unverhofften Reichtums waren umgerechnet zehntausend Dollar – die eigentliche Erblassenschaft. Zinsen und Zinseszinsen konnten sich jedoch seit der Renaissance ungehindert daran zu schaffen machen. Mathematisch ein höchst banaler, probabilistisch hingegen ein fantastischer Vorgang. Man stelle sich die vielen Krisen, Katastrophen, Kriege und gesellschaftlichen Umbrüche vor, die das Erbe auf seinem Weg durch fünf Jahrhunderte überstanden hat.

Eigentum verpflichtet

Schnell wird Fontanelli – vermutlich ohne es zu ahnen – klar, warum wir Deutsche stolz sein können auf den 14. Artikel unseres Grundgesetzes, in dem es bekanntlich unter Absatz 2 heißt: „Eigentum verpflichtet.“ An das Erbe gekoppelt ist nämlich scheinbar die Erwartung des Erblassers, Fontanelli möge nichts Geringeres damit anstellen, als die Menschheit vor der Selbstzerstörung zu bewahren.

Und schon relativiert sich die unvorstellbare monetäre Macht ganz gehörig. Geteilt durch die Erdbevölkerung bleiben pro Kopf von dem ererbten Vermögen nur etwas mehr als 150 Dollar, wobei hier vom Stand zum Zeitpunkt der erzählten Zeit – um die Jahrtausendwende – ausgegangen wird. Bloßes Verteilen: keine gute Idee!

Gewissenskonflikte

Aber Eschbach wäre nicht Eschbach, brächte diese zugegeben beklemmende Erkenntnis das Projekt bereits zum Scheitern. Mit Maßnahmen, die unbedarfte Leser vollends verblüffen dürften, hebelt Fontanelli stattdessen zusammen mit seinem undurchsichtigen Berater die halbe Weltwirtschaft so kunstvoll aus den Angeln, dass selbst Archimedes seine helle Freude gehabt hätte.

Wie das gelingt, zu welchen Gewissenskonflikten das führt, auf welche Weise Themen wie die Grenzen des Wachstums verarbeitet werden und was für Konsequenzen zum Beispiel die spätere Entführung Fontanellis hat – die Antworten auf all das und vieles andere mehr warten in einem riesigen Panoptikum von fast 1000 Seiten Länge.

Fazit

Franz Kafka hat sich einst in einem Brief an den Kunsthistoriker Oskar Pollak dafür ausgesprochen, ausschließlich Bücher zu lesen, die „einen beißen und stechen“ [5]. Folglich ist es egal, ob man sich für jeden einzelnen Einfall des durch das „Jesus-Video“ bekannt gewordenen Autors begeistern kann oder nicht. In jedem Fall taugt das Buch dazu, Menschen für wirtschaftliche Zusammenhänge zu interessieren. Und spätestens wenn man es anderen empfiehlt, hat es mit dem Nachdenken über Geld geklappt und klappt es dann auch mit dem Reden über Geld – und über eine gefühlte Billion weiterer interessanter Zukunftsfragen, die der Roman aufgreift.

Quellen:

[1] vgl. die Pressemeldung der Deutsche Postbank AG: Tabuthema Geld. Stand: 04.07.2018. URL: https://www.postbank.de/postbank/postbank_pressedienst_tabuthema_geld.html

[2] Siedenbiedel, C. Sparverhalten: Die Deutschen sind wahre Spar-Masochisten. In: Frankfurter Allgemeine. Stand: 04.07.2018. URL: http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/sparen-und-geld-anlegen/das-tagesgeldkonto-ein-wertvernichter-15130805.html

[3] Drost, M. Jugendliche fühlen sich beim Thema Geld unsicher – den Eltern geht es oft ähnlich. In: Handelsblatt. Stand: 04.07.2018. URL: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/finanzwissen-jugendliche-fuehlen-sich-beim-thema-geld-unsicher-den-eltern-geht-es-oft-aehnlich/22758012.html?ticket=ST-1602312-9pyXAb3I1naHtUoSTuYU-ap3

[4] Tichy, R. Wird das Bargeld abgeschafft? In: Ludwig Erhard Stiftung. Stand: 04.07.2018. URL: http://www.ludwig-erhard.de/erhard-aktuell/standpunkt/wird-das-bargeld-abgeschafft/

[5] vgl. https://homepage.univie.ac.at/werner.haas/1904/br04-003.htm